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US-Vorwahlen in Wisconsin «Es ist fahrlässig, die Wähler diesem Risiko auszusetzen»

Trotz Corona-Epidemie fanden am Dienstag im US-Bundesstaat Wisconsin Präsidentschaftsvorwahlen statt. Die beiden Kandidaten der Demokraten, Joe Biden und Bernie Sanders, hatten die Durchführung der Wahl wegen des Gesundheitsrisikos abgelehnt. Gouverneur Tony Evers hatte in letzter Minute eine Verschiebung der Abstimmung angeordnet, die das Gericht jedoch wieder aufhob. Es stehe eine lange Diskussion bevor, ob das Wahlresultat unter diesen Umständen legitim sei, sagt Christian Lammert, Professor für nordamerikanische Politik an der Universität Berlin.

Christian Lammert

Politologe

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Christian Lammert ist Professor für nordamerikanische Politik am John F. Kennedy Institut an der Freien Universität Berlin.

SRF News: «Wahlen des Wahnsinns», hiess es in den Medien. Teilen Sie diese Meinung?

Christian Lammert: Ja. Es ist fahrlässig, die Wähler diesem Risiko auszusetzen. Das Ganze ist chaotisch. Keiner weiss, wie hoch die Wahlbeteiligung sein wird und wann das Ergebnis kommt.

Kann man unter solchen Vorzeichen überhaupt noch von einer repräsentativen Wahl sprechen?

In Milwaukee, der grössten Stadt von Wisconsin, hatten nur fünf Wahllokale von 150 Wahlbüros geöffnet. Es ist nicht klar, wie viele Menschen Briefwahlunterlagen bestellt und auch erhalten haben. Zudem wird vermutet, dass die Wahlbeteiligung deutlich geringer als sonst ausfällt. Das wird eine lange Diskussion geben, inwieweit die Wahl unter diesen Bedingungen der Verunsicherung und Desinformation legitim ist.

Die Demokraten hätten gerne, dass alle brieflich abstimmen können. Die Republikaner wollen, dass möglichst alle ihren Wahlzettel persönlich in die Urne werfen. Wie lassen sich die unterschiedlichen Haltungen erklären?

Wenn man sich die Wählerkoalitionen der Parteien in den USA anschaut, wird klar, dass die Demokraten einen Vorteil haben, weil ihre Wählerbasis grösser ist. Darum versuchen die Republikaner es möglichst schwierig zu machen, zur Wahl zu gehen – insbesondere für bestimmte Gruppierungen: Schwarze und Hispanics, die hauptsächlich demokratisch wählen.

Die republikanische Partei profitiert von einem komplizierten Wahlprozedere.

Das hat man bereits in verschiedenen Bundesstaaten gesehen: Wenn man nur wenige Wahllokale öffnet und das Prozedere der Wählerregistrierung kompliziert macht, ist es für bestimmte Gruppierungen schwierig, an den Wahlen teilzunehmen. Davon profitiert die republikanische Partei, weil dann die weisse Mittelschicht wählen geht – und da ist der Anteil, der republikanisch wählt, höher.

Die demokratischen Kandidaten Joe Biden und Bernie Sanders sind aufgrund der Corona-Krise derzeit praktisch nicht präsent in den Medien. Wird das so bleiben?

Das wird sich im Hauptwahlkampf wieder etwas verschieben, wenn die Debatten zwischen Trump und dem demokratischen Kandidaten – wahrscheinlich Biden – stattfinden. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Infizierten-Zahlen auch in den USA zurückgehen. Ab dann sehen wir eine leichte Normalisierung.

Der Präsident hat im Wahlkampf bislang von der Pandemie profitiert.

Aber momentan ist es für die demokratischen Kandidaten ein Desaster, weil sie in den Medien nicht mehr stattfinden. Die Umfragewerte für Trump sind deutlich nach oben gegangen. Was den anstehenden Wahlkampf angeht, hat der Präsident bislang von der Pandemie profitiert.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

«Heute Morgen», 8.4.2020, 9.30 Uhr ; 

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