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Versöhnung in Israel «Man darf den Fanatikern nicht die Öffentlichkeit überlassen»

Die aktuellen Kriegshandlungen führen auch zu Konflikten zwischen arabischen und jüdischen Gruppen in Israel. Synagogen wurden zerstört, Menschen und Geschäfte attackiert. Die schweizerisch-israelische Doppelbürgerin Vera Lachmanovich setzt sich für die Versöhnung zwischen jüdischen und arabischen Jugendlichen ein.

Vera Lachmanovich

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Die schweizerisch-isarelische Doppelbürgerin lebt in der israelischen Hafenstadt Haifa und organisiert als stellvertretende Leiterin der jüdischen Schule Leo Baeck immer wieder Projekte mit arabischen und jüdischen Schülerinnen und Schülern.

SRF News: Wie ist die Lage in Haifa?

Vera Lachmanovich: Zum Glück ruhig. Aber am Mittwoch und Donnerstag war es sehr unangenehm. Ich war auf dem Markt, obwohl mich Freunde gewarnt hatten. Dort habe ich mich mit vielen unterhalten: Juden, Arabern. Alle sagten dasselbe: Fanatiker gibt es überall, und wir haben keinen Platz für Fanatiker. Wir leben und arbeiten seit mehr als 20 oder 30 Jahren zusammen und sind befreundet.

Es sind einige wenige, die grossen Schaden anrichten. Aber sie sind nicht die Mehrheit.

Natürlich haben wir manchmal Krach, aber dies hat nichts mit arabisch oder jüdisch zu tun. Sie sagen auch, dass sie weiterhin friedlich zusammenleben wollen. Dies kann man aber nur, wenn man die Koexistenz fördert.

Was wären derzeit Zeichen der Versöhnung?

Es ist sehr wichtig, dass sich alle Menschen, die ein friedliches Zusammenleben wollen, laut und deutlich äussern. Man darf diesen fanatischen Minderheiten nicht die Öffentlichkeit überlassen. Sie äussern sich lautstark und machen sich mit fürchterlichen Taten bemerkbar: Sie lynchen Menschen, zünden Synagogen an, provozieren mit Strassenmärschen auf denen sie «Tod den Arabern» rufen. Das ist nicht akzeptabel.

Es ist auch eine Sache der Erziehung der jüdischen und arabischen Jugend.

Es ist aber auch eine Sache der Erziehung der jüdischen und arabischen Jugend. Ich hoffe sehr, dass – wenn sich die Situation wieder beruhigt hat – wieder viel für das gegenseitige Verständnis getan wird.

Sie organisieren Camps, wo sich jüdische und arabische Jugendliche begegnen. Wie fremd sind sich diese?

Durch das Schulsystem sind sie sich grundsätzlich fremd. Einer der grössten Fehler, den Ben Gurion [erster israelischer Ministerpräsident] wohl begangen hat, ist, dass er vier verschiedene Schulsysteme ermöglicht hat: für arabische Schüler, für ultrareligiöse, für weniger religiöse Jugendliche und laizistische staatliche Schulen. Das Resultat ist, dass sich die Jugend nicht trifft, wenn man das nicht organisiert.

Präsident Ruben Rivlin hat vor Jahren eine Initiative gestartet, um diese verschiedenen Bevölkerungsgruppen einander näherzubringen. Unsere Schule macht da mit. Aber das genügt nicht, man sollte das überall im Lande regelmässig machen.

Worauf kommt es an, damit eine Generation heranwächst, die den Konflikt lösen könnte?

Dafür müsste es zunächst eine Lösung im Gazastreifen und gegenüber der Hamas geben. Aber bis etwas geschieht, wird viel Zeit vergehen. Darum muss man nun sehr viel Polizei einsetzen in allen Gebieten, aber auch auf Gespräche setzen. Da bin ich pragmatisch.

Das Gespräch führte Simone Hulliger.

Echo der Zeit, 15.05.2021, 18:00 Uhr ; 

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