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Viele betroffene Kinder «18 Millionen Menschen in Afghanistan brauchen humanitäre Hilfe»

Alle Organisationen der Vereinten Nationen (UNO) bleiben mit der Mehrheit ihrer 300 ausländischen und rund 3000 einheimischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern weiterhin in Afghanistan. Das berichtet die «Welt am Sonntag» unter Berufung auf das UNO-Informationsbüro in Genf.

Das UNO-Büro in Kabul habe bestätigt, dass die meisten der über 150 nicht staatlichen Hilfsorganisationen mit mehreren tausend Mitarbeitern ebenfalls weiter in Afghanistan tätig sein werden.

«In vielen Provinzen wurden wir von den Taliban gebeten, dass wir bleiben und unsere Arbeit für die Kinder fortsetzen», wird das UNO-Kinderhilfswerk Unicef zitiert. Das bestätigt auch Unicef-Sprecherin Sam Mort.

Samantha Mort

Unicef-Kommunikationschefin

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Samantha Mort ist seit Oktober 2020 beim Kinderhilfswerk Unicef als Chefin für Kommunikation, Interessenvertretung und bürgerschaftliches Engagement tätig. Derzeit befindet sie sich in Afghanistans Hauptstadt Kabul.

SRF News: Was können Sie uns über die aktuelle Lage in Afghanistan berichten?

Sam Mort: Innerhalb Afghanistans wurden rund eine halbe Million Menschen vertrieben. Im Land herrscht ein hohes Mass an Angst und Beunruhigung. Insbesondere in der vergangenen Woche wegen der Geschwindigkeit der Machtübernahme durch die Taliban. In Kabul sehen wir viele Leute, die sich in ihren Häusern verstecken und abwarten, was passiert.

Wie sieht die Situation für Frauen und Mädchen aus?

Wir haben die Taliban-Medienkonferenz vergangene Woche mitverfolgt. Da haben die Taliban gesagt, dass Frauen Rechte unter dem Islam und der Scharia zugestanden würden. Doch wir müssen erst sehen, wie das in der Praxis aussehen wird. Wir wissen, dass Mädchen in Teilen des Landes zur Schule gehen können. In Herat beispielsweise, im Westen, konnten letzte Woche Mädchen und Jungen ihre Prüfungen ablegen. Aber die Situation ist nicht einheitlich. Wir wissen auch, dass Frauen nach Hause geschickt worden sind, als sie zur Arbeit erschienen sind.

Unicef steht mit den Taliban in Kontakt. Wie sicher ist es für Sie vor Ort?

Die Taliban haben das Kinderhilfswerk Unicef gebeten, im Land zu bleiben, ebenso wie andere UNO-Einrichtungen und Nichtregierungsorganisationen. Wir alle warten nun ab, um zu sehen, inwieweit wir unsere Programme fortsetzen können.

Drei verschleierte Frauen gehen mit ihren Kindern eine Strasse entlang.
Legende: Für die Frauen in Afghanistan ist die Lage ungewiss. Die wenigen, die sich seit der Machtübernahme der Taliban auf die Strasse trauen, tun dies meist voll verschleiert. Keystone

Wir sehen in diesen Tagen dramatische Bilder am Flughafen Kabul. Was können Sie zur Situation dort sagen?

Am Flughafen ist es chaotisch. Darüber sind wir sehr besorgt. Wir hören Berichte, dass Kinder verletzt oder sogar getötet worden sind. Wir versuchen das derzeit zu verifizieren. Die Situation am Flughafen hat für Unicef Priorität. Wir versuchen derzeit, dort Kontakte zu knüpfen und aktiv zu werden. Wir wollen am Flughafen einen sicheren Raum für Kinder schaffen, um sie zu schützen.

Ist eine grosse Fluchtbewegung aus Afghanistan zu erwarten?

Es ist unmöglich, zu sagen, was als nächstes passiert. Ich denke, der Bedarf an humanitärer Hilfe wird zunehmen, und zwar rasch. Rund 18 Millionen Menschen brauchen humanitäre Hilfe. Wir sehen steigende Lebensmittelpreise und einen Mangel an Medikamenten. Es herrscht ein hohes Mass an Panik. Niemand weiss, ob Menschen wieder arbeiten dürfen und was als nächstes passiert.

Das Gespräch führte Jonas Bischoff.

SRF 4 News, 22.08.2021, 15:00 Uhr ; 

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