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Viktor Orbans Spagat Ungarns Jein zu den EU-Sanktionen

In Brüssel stimmt Ungarns Regierungschef Viktor Orban für EU-Sanktionen gegen Russland. Zu Hause verteufelt er sie. Ein Klärungsversuch.

«Wir sind Mitglied der Nato und der Europäischen Union. Dort sind alle auf der Seite des Krieges», sagte Ungarns Regierungschef Viktor Orban kürzlich in einer Rede. Nur Ungarn sei auf der «Seite des Friedens».

Was das heissen soll, erklärt Zoltán Kiszelly, Direktor von Századvég, einer regierungsnahen Denkfabrik, die man in Budapest scherzhaft das aussenpolitische Hirn Orbans nennt: «Wir wollen einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen zwischen Russland und der Ukraine statt weiterer Sanktionen und weiterer Waffenlieferungen.»

Gegen Sanktionen und doch dafür

Nur: Auch in Budapest weiss man, dass ein baldiger Waffenstillstand utopisch ist. Und so dreht sich die Debatte in Ungarn derzeit vor allem um die EU-Sanktionen gegen Russland. Seit Monaten tapeziert die Regierung das Land mit Plakaten, auf denen sie Stimmung macht gegen die EU-Sanktionen. «Brüssels Sanktionen zerstören uns!», steht da zum Beispiel.

«Brüsseler Sanktionen zerstören uns» steht auf einem Plakat in Budapest
Legende: «Brüssels Sanktionen zerstören uns» steht auf einem Plakat in Budapest, auf dem die EU-Sanktionen als Bombe dargestellt sind (Bild vom 19. Oktober 2022). REUTERS/Bernadett Szabo

Doch stimmt Orban in Brüssel ein ums andere Mal für Sanktionen gegen Russland. Wie geht das zusammen? «Wir tragen die Sanktionen mit, um die Einheit des Westens zu gewährleisten. Aber nicht auf Kosten des Industriestandorts», sagt Kiszelly. Deshalb habe sich Ungarn, zusammen mit anderen osteuropäischen Ländern, Ausnahmen gesichert, die es ihnen weiter erlauben, russisches Öl zu kaufen.

Es geht nur um Geschäftsinteressen der herrschenden Elite.
Autor: Andras Racz Spezialist für ungarisch-russische Beziehungen

Andras Racz, Spezialist für ungarisch-russische Beziehungen bei der Deutschen Gesellschaft für auswärtige Politik, glaubt Orban und seinem aussenpolitischen Experten kein Wort. Bei den Versuchen der ungarischen Regierung, Sanktionen abzuschwächen und die westliche Front gegen Russland aufzuweichen, gehe es nicht um Frieden, nicht um das Wohlergehen der ungarischen Wirtschaft und auch nicht um die angebliche Freundschaft zu Wladimir Putin. «Es geht einzig und allein um die Geschäftsinteressen der herrschenden Elite.»

Dreh- und Angelpunkt sei die ungarische Abhängigkeit von russischer Energie. Billiges russisches Gas habe es der Regierung Orban jahrelang ermöglicht, die Heizkosten von privaten Haushalten tief zu halten. Sie habe einen Gaspreisdeckel eingeführt, der so populär sei, dass er kaum mehr abzuschaffen sei. Die Hoffnung auf vorteilhafte Gaslieferverträge mit Russland sei wohl ein Grund für Orbans Widerstand gegen schärfere Sanktionen, vermutet Racz.

Orbans Marionetten-Oligarch verdient gut am Ausbau des einzigen ungarischen AKW durch die Russen.
Autor: Andras Racz Spezialist für ungarisch-russische Beziehungen

Dazu kommt: Der russische Staatskonzern Rosatom hat – ohne Ausschreibung – den Auftrag bekommen, das einzige ungarische Atomkraftwerk auszubauen. Budget: zwölf Milliarden Euro. Der grösste ungarische Auftragnehmer: Viktor Orbans Jugendfreund Lörincz Mészáros, ein Mann, der es mit Regierungsaufträgen in wenigen Jahren vom Gasinstallateur zu einem der reichsten Männer Ungarns gebracht hat.

«Je länger die Bauarbeiten am AKW weitergehen, desto mehr Geld verdient Orbans Marionetten-Oligarch», sagt der Politexperte. Das sei wohl ein weiterer Grund, wieso sich die ungarische Regierung gegen schärfere EU-Sanktionen sträube.

Ist Ungarn Aussenseiter oder Vorreiter?

Ungarn isoliere sich mehr und mehr, sagt Racz. Das werde dem Land noch viele Nachteile bringen. Im Gegenteil, Europa werde noch auf die Linie Ungarns einschwenken, prophezeit hingegen Kiszelly.

Vorderhand reibt man sich im Rest Europas vor allem die Augen – aus Verwunderung darüber, wie Orban in Brüssel für Sanktionen gegen Russland stimmt, und wie er dieselben Sanktionen in Ungarn verteufelt.

Echo der Zeit, 13.03.2023, 18:00 Uhr

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