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Visaverbot für Russen «Es geht um Solidarität mit den baltischen Staaten»

In der EU wird derzeit darüber diskutiert, ob eine generelle Visasperre für russische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger eingeführt werden soll. Dies fordern einige ost- und nordeuropäische Länder. Deutschland und andere europäische Staaten stehen der Forderung kritisch gegenüber. Beispielsweise betonte Olaf Scholz, es sei der Krieg Putins und nicht der russischen Bevölkerung. Wieso Finnland und Dänemark ein Visaverbot für Russinnen und Russen fordern, erläutert SRF-Nordeuropa-Mitarbeiter Bruno Kaufmann.

Bruno Kaufmann

Nordeuropa-Korrespondent

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Bruno Kaufmann berichtet seit 1990 regelmässig für SRF über den Norden Europas, von Grönland bis Litauen. Zudem wirkt er als globaler Demokratie-Korrespondent beim internationalen Dienst der SRG mit.

SRF News: Wieso wollen Finnland und Dänemark keine russischen Bürgerinnen und Bürger mehr einreisen lassen?

Bruno Kaufmann: In erster Linie geht es um Solidarität mit den baltischen Staaten. Diese haben die Forderung zuerst gestellt. Dänemark sieht sich auch in der Nato als Partner der baltischen Staaten. Und Finnland möchte ja in die Nato. Deshalb unterstützt man die Forderung der Nachbarstaaten.

Schweden ist im Unterschied zu den Nachbarländern gegen eine generelle Visasperre für russische Staatsbürgerinnen. Wieso nimmt das Land in dieser Frage eine andere Position ein?

In Schweden schliesst man sich mehr der Position von Olaf Scholz an. Russinnen und Russen, die den Krieg nicht unterstützen, sollen weiterhin ausreisen können. Denn in Schweden ist man nach Einreichung des Nato-Beitrittsgesuchs ein bisschen erschrocken, man hat Probleme mit der Türkei wegen der Kurdenpolitik bekommen. Deshalb ist man in Schweden vorsichtiger.

Die EU-Sanktionen zielten bisher auf die Verantwortlichen des Krieges. Nun soll auch die breite Bevölkerung nicht mehr einreisen dürfen. Wie argumentieren die Regierungen von Finnland und Dänemark?

In Finnland und Dänemark ist man der Meinung, dass diejenigen Russinnen und Russen, die aufgrund des Krieges ausreisen wollten oder mussten, dies bereits gemacht haben.

Ein Visum nach Finnland kann im ganzen Schengenraum genutzt werden. Viele Menschen reisen deshalb über Finnland nach Europa ein.

Es gehe jetzt nur um diejenigen Russinnen und Russen, die noch in die Ferien ans Mittelmeer gehen oder touristische Reisen in Nordeuropa machen wollen. Das möchte man nicht mehr unterstützen. Und man sagt auch, dass ein Visum nach Finnland im ganzen Schengenraum genutzt werden kann. Viele Menschen würden deshalb über Finnland nach Europa einreisen.

Ein Grenzposten zwischen Finnland und Russland. Auf der Strasse fahren Autos.
Legende: Grenzposten zu Russland: Wer nach Finnland einreist, ist im Schengenraum und kann sich dort bewegen. Archivbild vom 17. März 2020. REUTERS/LEHTIKUVA

Wie viele Menschen aus Russland sind es denn, die derzeit in die skandinavischen Länder kommen?

Das ist paradox: Am 1. Juli wurden die Corona-Beschränkungen zwischen Russland und Finnland aufgehoben. Das hat dazu geführt, dass auf einmal etwa zehnmal so viele Russinnen und Russen als noch in den Monaten zuvor nach Finnland eingereist sind. Viele davon nicht nur nach Finnland.

Man möchte den Russinnen und Russen klarmachen, dass sie in Zeiten des Krieges keine Ferien mehr am Mittelmeer machen können.

Es gab ganze Pakete zu kaufen, mit denen man aus Russland per Bus zum Flughafen Helsinki und von dort weiter ans Mittelmeer reisen konnte. Man möchte den Russinnen und Russen klarmachen, dass sie in Zeiten des Krieges keine Ferien mehr am Mittelmeer machen können.

Finnland war lange um eine gewisse Nähe zu Russland bemüht. Durch den Ukraine-Krieg kam es dann zum Bruch. Zeigt die Forderung nach einer Visasperre, dass es sich um einen langfristigen Bruch handelt?

Ja, so ist es. Finnland und Russland vereinen über 1300 Kilometer gemeinsame Grenze, aber auch eine sehr schwierige Geschichte mit wiederholten Kriegen. Daneben herrschte über ein halbes Jahrhundert ein pragmatischer Kurs, es gab einen Austausch zwischen Finnland und Russland. Doch Finnland hat nun die Konsequenzen gezogen und zeigt nun, welche Seite es gewählt hat.

Das Gespräch führte Vera Deragisch.

SRF 4 News, 16.08.2022, 09:15 Uhr ; 

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