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Vor der Brexit-Abstimmung «Die Briten wollen endlich eine Entscheidung»

Mit Spannung wird die Brexit-Abstimmung im britischen Unterhaus von heute Abend vor allem von den Journalisten erwartet. Der Durchschnittsbrite dagegen mag sich mit dem Thema kaum mehr beschäftigen, wie der Journalist Peter Stäuber weiss.

Peter Stäuber

Journalist

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Peter Stäuber lebt seit Jahren in London und berichtet von dort unter anderem für die WOZ oder Zeit online.

SRF News: Am Abend stimmt das Unterhaus über den Brexit-Vertrag mit der EU ab. Kleben heute also alle Britinnen und Briten am Fernseher, Radio oder Smartphone?

Peter Stäuber: Das kann ich mir nicht vorstellen, denn dafür ist das Interesse der Briten an den Brexit-Verhandlungen schlicht zu klein. Die meisten Briten schauen nicht so gebannt nach Westminster, wie das etwa Journalisten tun.

Wollen die Briten nicht wissen, wie ihre Zukunft aussieht?

Das wollen sie eigentlich schon. Doch viele haben abgeschaltet, wenn es um den Brexit geht. Die Debatten um den EU-Austritt dauern jetzt bereits zweieinhalb Jahre – und dabei wurde allzu oft angekündigt, es gehe nun ans Eingemachte, um die Entscheidung. Doch all die Verzögerungen haben bewirkt, dass viele Briten jetzt einfach mal abwarten, bis tatsächlich ein Entscheid gefallen ist.

Viele Briten haben abgeschaltet, wenn es um den Brexit geht.

Zudem ist der Brexit nach wie vor ein sehr abstraktes und komplexes Thema mit bislang noch wenig konkreten Auswirkungen. Solange der britische Bürger nicht sieht, welche Konsequenzen die Entscheidung für ihn selber hat, wird sein Interesse am Thema eher lauwarm bleiben.

Was nach der Abstimmung von heute Abend passiert ist offen: ein Misstrauensvotum gegen die Regierung, ein zweites Referendum, neue Verhandlungen mit der EU. Wie gehen die Briten mit der herrschenden Unsicherheit um?

Es kommt darauf an, mit wem man spricht. Manche Berufsgruppen sind bereits in heller Aufregung. So etwa Leute, die eine Handelsfirma betreiben und auf einen reibungslosen Grenzverkehr angewiesen sind, oder solche, die im Gesundheitsdienst arbeiten. Denn dort wird nach dem Brexit ein Mangel an Fachkräften befürchtet.

Das ewige Aufschieben der Entscheidung geht den Leuten auf die Nerven.

Ihre Warnungen vor der Unsicherheit sind in den letzten Wochen noch dringlicher geworden. Vor allem aber spürt man eine Ungeduld und eine Frustration – sowohl bei den Befürwortern wie den Gegnern des Brexit. Das ewige Aufschieben der Entscheidung geht den Leuten auf die Nerven. Sie wollen den Brexit hinter sich bringen, damit sie sich wieder mit etwas anderem beschäftigen können.

Symbolbild: Britische Fahnen, im Hintergrund Westminster.
Legende: Warten auf die Entscheidung in Westminster. Reuters

Im Falle einer Abstimmungsniederlage für May wird die Opposition wohl ein Misstrauensvotum im Parlament auslösen. Wäre dies das Ende von Theresa May als Premierministerin?

Es ist nicht sehr wahrscheinlich, dass die Opposition eine solche Abstimmung gewinnen und damit Neuwahlen herbeiführen kann. Die konservative Partei will nicht riskieren, dass eine Labour-Regierung an die Macht kommt – denn laut Umfragen wäre ein solcher Wahlausgang tatsächlich möglich. Nur wenn May die Brexit-Abstimmung haushoch verliert, könnte es sein, dass ein Vertrauensvotum eine Mehrheit erhält – oder sie von sich aus zurücktritt. Verliert sie die Abstimmung aber bloss relativ knapp, wird May wohl versuchen, einen leicht abgeänderten Deal mit der EU durchzubringen.

Geht die Unsicherheit also auch nach der heutigen Abstimmung weiter?

Das kann durchaus sein. Wenn – wovon hier praktisch alle ausgehen – May die Abstimmung verliert, geht das Gezerre um den Brexit weiter. Mindestens noch einige Wochen lang.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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