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Wahl des UNO-Generalsekretärs UNO-Führung: Ein Wahlkampf, der keiner ist

In der Agenda der UNO-Generalversammlung gab es am Freitag nur einen einzigen Eintrag: «Informeller Dialog mit einem Kandidaten für den Posten des UNO-Generalsekretärs». Amtsinhaber Antonio Guterres dürfte diesmal aber der einzige sein, der überhaupt zu einer solchen Anhörung eingeladen wird.

Dabei gibt es Gegenkandidaten – oder präziser: Gegenkandidatinnen. Etwa Ecuadors Kurzzeitpräsidentin Rosalia Arteaga. Oder die erst 34-jährige Kanadierin Arora Akanksha, Beamtin beim UNO-Entwicklungsprogramm. Sie und weitere Anwärterinnen wollen die UNO aufrütteln und für eine echte Wahl sorgen. Doch sie alle sind auf der Weltbühne viel zu schlecht vernetzt, besitzen viel zu geringe Führungserfahrung. Und: Sie werden nicht einmal von ihrer eigenen Regierung unterstützt, was als Minimalvoraussetzung gilt.

Guterres profilierte sich als Frauenförderer

Dass primär Frauen Antonio Guterres herausfordern, ist ein klares Signal, dass es höchste Zeit ist für die erste Frau an der Spitze der 76-jährigen UNO. Dass weiss der Amtsinhaber und sorgte vor, indem er sich als Frauenförderer profilierte. Dank ihm besetzen inzwischen deutlich mehr Frauen UNO-Spitzenposten als jemals zuvor.

Doch chancenreiche Kandidatinnen für das höchste Amt werden sich erst 2026, im nächsten und dann echten Wahlkampf aus der Deckung wagen. Denn diesmal führt kein Weg an Guterres vorbei. Sein stärkster Trumpf: Keine der fünf UNO-Vetomächte ist gegen ihn. Sie sind es, die letztlich entscheiden – wie der frühere UNO-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali 1996 schmerzvoll erfuhr, als ihn die USA mit ihrem Veto absägten.

Wenn indes behauptet wird, Guterres habe zwar nicht viel falsch gemacht, jedoch wenig erreicht, ist das unfair. Der UNO-Generalsekretär ist pausenlos präsent: Er warnt, er beschwichtigt, er appelliert, er fordert,... Bloss ist sein Spielraum extrem eng in Zeiten enormer Spannungen zwischen den grossen Mächten.

Blüht Guterres in der zweiten Amtszeit auf?

Er trieb die Reform der UNO voran, anders als seine Vorgänger. Er positionierte sie als Schlüsselakteurin im Kampf gegen den Klimawandel – wie vor ihm schon Ban Ki-Moon – und in der Coronakrise. Bescheidener ist jedoch seine Bilanz als Friedensvermittler. Da hielt er sich sehr zurück. Wohl auch, weil er sich kaum Erfolgschancen ausrechnete: nicht in Syrien, nicht im Jemen, nicht in Venezuela, Äthiopien oder in der Ukraine. Die von ihm einst angekündigte «Grossoffensive für Friedensdiplomatie» fiel aus.

In der Menschenrechtspolitik hinterliess er bestenfalls punktuell Spuren. Da hätte er sich mit mächtigen Ländern anlegen müssen. Das war dem gewieften Machtpolitiker zu riskant. Weshalb er bisweilen als «der zu stille Generalsekretär» kritisiert wird.

Manche Beobachter sehen in Guterres den «bestqualifizierten UNO-Generalsekretär in der schlimmstmöglichen Zeit». Doch gerade seine langjährige Erfahrung lässt ihn vorsichtig agieren, für viele zu zaghaft.

Immerhin: Möglich, dass er in der zweiten Amtszeit aufblüht. Dann, wenn er sich keiner Wiederwahl mehr stellen muss. Die jetzige Amtszeitverlängerung hat er wohl in der Tasche. Seine zurückhaltende Amtsführung ist der Preis dafür.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 07.05.2021, 18.00 Uhr

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