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Wahlen in Polen Das fünftgrösste EU-Land ist eine lebendige Demokratie

Polen hat gewählt und es riecht nach einem Machtwechsel, obwohl im Moment noch ausgezählt wird. Die Rechtskonservativen, die das Land nun acht Jahre lang regiert haben, bleiben zwar stärkste Partei. Aber sie dürften nicht mehr genug Stimmen bekommen, um weiterzuregieren.

PiS stützt sich auf Propaganda der Staatsmedien

An die Macht kommt stattdessen wohl ein Zusammenschluss aus liberalen, liberal-konservativen und linken Parteien. Die Wahl war aufgeladen, weil die Regierungspartei «Recht und Gerechtigkeit» im In- und Ausland umstritten ist. Sie hat die Staatsmedien umgebaut zu Propaganda-Schleudern, sie hat Richterinnen und Staatsanwälte ungebührlich stark kontrolliert, sie hat – mithilfe eines politisch motivierten Gerichtsurteils – Abtreibung de facto verboten.

Und sie hat ihren eigenen Leuten und der Kirche unanständig viel Geld zugeschanzt. Viele dachten vor den Wahlen, ihre Macht sei so stark zementiert, dass der Machtwechsel kaum noch möglich sei. Vor allem aus folgenden Gründen zeichnet er sich nun aber ab:

  1. Es sind viele Polinnen und Polen wählen gegangen, die sonst nicht wählen – die Wahlbeteiligung ist mit über 70 Prozent so hoch wie noch nie im demokratischen Polen, vor allem viele Junge waren an der Urne. Diese Wählerinnen und Wähler haben offenbar vor allem für moderate Mitte-Parteien gestimmt. Das zeigt, dass viele Menschen genug haben vom Streit der in die Jahre gekommenen Granden – dem Rechtskonservativen Jaroslaw Kaczynski und dem Liberalen Donald Tusk –, der die polnische Politik sei Jahrzehnten dominiert. Ein beachtlicher Teil der unversöhnlichen Härte und Ideologie in der polnischen Politik rührt von persönlichen Animositäten her, die gerade junge Menschen nicht mehr verstehen können.
  2. Die Frauen haben offensichtlich genug von der konservativen Politik, seit diese ihnen das Recht auf Abtreibung de facto verwehrt. Viele Frauen haben Angst, schwanger zu werden. Und Schwangere befürchten, medizinisch schlecht betreut zu werden, viele denken, Ärzte könnten aus Angst mehr auf das Leben des Ungeborenen achten als auf das Leben der Mutter. Frauen haben sich deshalb von den Konservativen abgewendet.
  3. Die Regierungspartei ist zwar auch nach acht Jahren an der Macht noch beliebt, vor allem auf dem Land – sie ist nach wie vor stärkste Partei. Aber die guten Ideen sind ihr ausgegangen, sie hat vor den Wahlen einfach wieder allerlei Geldgeschenke verteilt. Vielen Polinnen und Polen ist aber bewusst, dass sich das Land diese hohen Ausgaben eigentlich gar nicht leisten kann. Ausserdem sind viele Menschen skeptisch einem stark ausgebauten Staat gegenüber, viele möchten weniger Staat und mehr Eigenverantwortung.

Dass der Machtwechsel greifbar ist, zeigt, dass Polen eine Demokratie mit einer starken Zivilgesellschaft ist. In Europa, auch das ist vielen Polen und Polinnen wichtig, würde das Ansehen des Landes danach steigen. Vom Inland aus gesehen dürfte aber eine schwierige Koalition an die Macht kommen, deren Mitglieder nicht viel gemeinsam haben. Daraus eine stabile und erfolgreiche Regierung zu schmieden, ist schwierig.

Sarah Nowotny

Osteuropa-Korrespondentin

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Sarah Nowotny ist Osteuropa-Korrespondentin für SRF. Sie lebt in der polnischen Hauptstadt Warschau. Seit 2014 ist Nowotny bei Radio SRF tätig. Zuvor arbeitete sie für die «NZZ am Sonntag» und «Der Bund».

Rendez-vous, 16.10.2023, 12:30 Uhr

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