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Wahlen in Weissrussland Weissrussland droht ein neuer Winter

Es sind erschreckende Bilder aus Minsk: Ein Polizeiwagen überfährt einen Demonstranten. Sondereinheiten schiessen Blendgranaten in Menschenmengen – um dann im Gleichschritt vorzurücken. Die Ausfallstrassen der Hauptstadt werden derweil von bewaffneten Armee-Einheiten abgesperrt.

Die Präsidentschaftswahl in Weissrussland hat sich von der Urne auf die Strasse verlagert. Und auf diesen Strassen herrscht Gewalt. Die Verantwortung dafür trägt Präsident Alexander Lukaschenko. Er hat sich geweigert, sich einem fairen politischen Wettbewerb zu stellen. Zwei seiner wichtigsten Kontrahenten sitzen im Gefängnis, ein weiterer musste ins Ausland fliehen.

Die Wählerquote ist ein Hohn

Gewalt ist die eine Säule, auf die der Langzeit-Staatschef seine Macht stützt. Aber das reicht nicht mehr, deswegen greift das Regime in Minsk auch noch zu Betrug. Angeblich haben fast 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler für Lukaschenko gestimmt, so erste offizielle Prognosen. Diese Zahl ist ein Hohn. Es gibt eine Fülle von Hinweisen, dass das Wahlergebnis massiv verfälscht wurde.

Es sind triste, deprimierende Nachrichten aus Minsk. Dabei hatte es zeitweise ganz anders ausgesehen, hoffnungsvoll. Es gab Momente, da fühlte sich der Wahlkampf an wie ein weissrussischer Frühling.

Wenn Svetlana Tichanowskaja, die Kandidatin der Opposition, auf die Bühne trat – und Tausende, ja Zehntausende ihr zujubelten. Eigentlich eine Heldin wider Willen: die 37-Jährige kandidierte nur für die Präsidentschaft, weil ihr Mann im Gefängnis sitzt. Aber sie tat es unprätentiös, natürlich, glaubwürdig. Und wurde so zur Hoffnungsträgerin für alle, die ein anderes, ein besseres Weissrussland wollen.

Aus der Zeit gefallenes Weltbild

Bemerkenswert dabei: Tichanowskaja hat gar kein politisches Programm. Sie ist weder rechts noch links, weder konservativ noch fortschrittlich. Die Macht interessiert sie nicht: Sie selber würde nur ein halbes Jahr im Amt bleiben – und faire Neuwahlen organisieren. Die Weissrussen sollen nach 26 Jahren unter Lukaschenko wieder eine Wahl haben und selber über ihr Leben bestimmen können.

Doch der Autokrat will seinem Volk diese Wahl nicht zugestehen. Er will weiterregieren mit seinem allmächtigen Geheimdienst – der wie zu Sowjetzeiten noch KGB heisst.

Mit seinem Wirtschaftssystem à la Sowjetunion, wo der Staat alle Schlüsselindustrien kontrolliert. Mit seinem aus der Zeit gefallenen Weltbild, das ihn ohne rot zu werden behaupten lässt, eine Frau könne nicht Präsidentin sein. Für so einen Job brauche es einen richtigen Kerl, einen Mann.

Entscheidung auf der Strasse

Lukaschenko leidet an der Autokraten-Krankheit. Er hält sich selber für unersetzbar, er hat den Kontakt zu seinem Volk verloren. Ob ihm der Machterhalt gelingt, wird sich auf der Strasse entscheiden. Daran, ob die Sicherheitskräfte zu Lukaschenko halten oder nicht.

Bisher gibt es kaum Anzeichen dafür, dass Militär, Polizei und Geheimdienst zur Opposition überlaufen. Lukaschenko hat nicht mehr viele Verbündete – aber die halten zu ihm.

Für die Weissrussinnen und Weissrussen, die auf einen Aufbruch gehofft haben, ist das bitter. Es könnte bedeuten, dass der weissrussische Frühling schon wieder vorbei ist – und gleich ein neuer Winter folgt.

SRF 4 News, Heute Morgen, 10.8.2020, 06:00 Uhr

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