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Weissrussland in Aufruhr Lukaschenkos Angst und der Glaube an Veränderung

Oppositionsführerin Maria Kolesnikova kämpft für ein neues Weissrussland – selbstbestimmt, aber nicht anti-russisch.

Vergangenen Sonntag. Es sind Bilder, die in die Geschichte eingehen. Alexander Lukaschenko stapft mit einem Sturmgewehr über den Platz vor seinem Palast in Minsk. Draussen in der Stadt haben gerade geschätzt 200'000 Menschen gegen ihn demonstriert.

«Statt auf die Weissrussen zuzugehen, nimmt er eine Waffe in die Hand, verschanzt sich hinter Stacheldraht. Da wird klar, wie sehr er Angst hat. Und wie sehr seine Realität nichts mehr zu tun hat mit der Realität im Land», sagt Maria Kolesnikova.

Sie ist zum Symbol des Widerstands gegen einen zunehmend brutalen Diktator geworden. Die 38-Jährige wurde erst vor Kurzem zur Polit-Aktivistin. Sie leitete den Wahlkampf des Bankers Wiktor Babariko – bis dieser verhaftet wurde. Darauf schloss sich Kolesnikova mit zwei anderen oppositionellen Frauen zusammen.

Maria Kolesnikovа
Legende: Drei Frauen haben den Wahlkampf gegen Lukaschenko angeführt. Jetzt – nach der Wahl – ist nur noch eine von ihnen im Land: Maria Kolesnikova. Reuters

Inzwischen ist die Profimusikerin landesweit bekannt. Ihre äusseren Erkennungsmerkmale: kurze, blond gefärbte Haare und knallrote Lippen. Ihre Stärke: Unerschrockenheit und eine klare Strategie. «Der Protest ist dezentral organisiert: in jeder Stadt von Weissrussland, jedem Dorf. Wir haben auch keinen Anführer. Und das ist unsere Stärke. So einen Protest kann man nicht kontrollieren.»

Sie versuchen, uns unter Druck zu setzen, uns ins Gefängnis zu werfen, uns zu zerstören. Aber wir geben nicht auf.
Autor: Maria Kolesnikova Weissrussische Oppositionelle

Kolesnikova ist die letzte des Frauen-Trios, das gegen Lukaschenko Wahlkampf machte. Die anderen beiden sind nicht mehr im Land. Und der Druck bleibt hoch. Die Behörden ermitteln gegen den Koordinationsrat, eine Gruppe, welche die Anstrengungen der Opposition bündeln soll. Mehrere Aktivisten wurden in den letzten Tagen festgenommen.

«Sie versuchen, uns unter Druck zu setzen, uns ins Gefängnis zu werfen, uns zu zerstören. Aber wir geben nicht auf», sagt Kolesnikova. Sie steht exemplarisch für den friedlichen Charakter des Volksaufstandes. Bei öffentlichen Auftritten formt sie ihre Hände immer wieder zu einem Herz. Was für ein Kontrast zu Lukaschenko, der sich mit einer Waffe zeigt.

Keine Einmischung von aussen

Und als vergangenen Sonntag Demonstrierende und Militärs aufeinandertrafen, stellte sich Kolesnikova zwischen die Gruppen und bat die Menschen, Abstand zu halten. Die Bewegung will den Staatschef mit Demonstrationen und Streiks zum Einlenken bringen.

Einen Diktator kann man nicht von heute auf morgen besiegen.
Autor: Maria Kolesnikova Weissrussische Oppositionelle

Und: Sie bietet den Machthabern Gespräche an. Deswegen sieht Kolesnikova auch die angekündigten EU-Sanktionen gegen Lukaschenko und sein Umfeld kritisch: «Wir werben für Dialog, da können wir nicht und gleichzeitig Sanktionen verlangen.»

Einig sei man sich dagegen mit der EU in dem Punkt, dass man das Resultat der Präsidentschaftswahl nicht anerkenne. Lukaschenko behauptet, die Protestbewegung sei anti-russisch.

Kolesnikova weist das entschieden zurück: «Wir wissen genau, dass Russland ein wichtiger politischer und wirtschaftlicher Partner ist für Weissrussland. Wenn die Russen – oder auch die Europäer – uns helfen, mit der amtierenden Macht einen Dialog zu beginnen, begrüssen wir das.»

Gleichzeitig macht die Aktivistin klar, dass eine Einmischung von aussen nicht erwünscht ist. «Denn zum ersten Mal seit 26 Jahren regeln wir Weissrussen unsere Probleme selber.»

26 Jahre regiert Lukaschenko Weissrussland schon. Eine Weile lang hatte er die Unterstützung von Teilen der Bevölkerung, inzwischen stützt sich der Staatschef fast nur noch auf den Sicherheitsapparat. Kolesnikova glaubt trotzdem, das ihr und ihren Mitstreitern noch ein langer Kampf bevorsteht. «Einen Diktator kann man nicht von heute auf morgen besiegen.»

Rendez-vous vom 25.08.2020, 12:30 Uhr

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