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Welthunger als Kriegswaffe Russland blockiert weltweite Getreidelieferungen

Mit der totalen Seeblockade gegen die Ukraine und des wichtigsten Hafens Odessa verhindert Moskau den Export von Millionen Tonnen ukrainischen Getreides. Die Rufe werden lauter, die russische Blockade zu durchbrechen. Doch das wäre äusserst riskant.

In der ukrainischen Hafenstadt Odessa sind gut 25 Millionen Tonnen Getreide blockiert. Die Speicher sind übervoll mit Weizen, Gerste und Mais für den Nahen Osten, den Maghreb und Afrika.

Weil die Lieferungen ausbleiben, explodieren weltweit die Preise. «Ukrainisches Getreide muss wieder exportiert werden können», fordert UNO-Generalsekretär António Guterres: «Russland muss die Seeblockade beenden.»

Baerbock spricht von «Hungerkrieg»

Auf dem Landweg sind die Kapazitäten viel zu klein, um die riesigen Getreidemengen aus der Ukraine zu exportieren. «400 Millionen Menschen sind auf Lebensmittel aus der Ukraine angewiesen», sagt David Beasley, der Chef des UNO-Welternährungsprogramms.

«Wenn Russland die Lieferungen aus ukrainischen Häfen verhindert, ist das eine Kriegserklärung gegen die weltweite Ernährungssicherheit.»

400 Millionen Menschen sind auf Lebensmittel aus der Ukraine angewiesen.
Autor: David Beasley Chef des WFP

Die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock nennt das einen «Hungerkrieg». Es sei die Absicht von Russlands Präsident Wladimir Putin, auf diese Weise die Weltgemeinschaft zu spalten. Und für ihren US-Amtskollegen Anthony Blinken nimmt die russische Armee so die weltweite Lebensmittelversorgung zur Geisel.

Das stimme alles nicht, widerspricht der russische UNO-Botschafter Wassily Nebensja.

Hafen von Odessa.
Legende: Der Hafen von Odessa steht wegen der russischen Blockade still – Millionen Tonnen Grundnahrungsmittel können deshalb nicht exportiert werden, in manchen Weltregionen droht deshalb eine Nahrungsmittelknappheit. Reuters/Archiv

Seeblockade mit Gewalt brechen?

Doch die Forderungen werden lauter, notfalls die russische Seeblockade vor der ukrainischen Küste mit Gewalt zu brechen. Litauens Aussenminister Gabrielus Landsbergis diskutierte eben mit seiner britischen Amtskollegin Liz Truss darüber.

Im Fernsehsender Sky verlangt er mehr zu tun, als Russland gut zuzureden. «Entweder wir liefern der Ukraine die Waffen, um selber die russische Blockade zu brechen. Oder wir bilden eine Koalition williger Nationen, die Meereskorridore für Getreidefrachter militärisch absichert.»

Als Beispiel wird derzeit gern der Iran-Irakkrieg in den 1980er-Jahren zitiert. Damals ermöglichten solche Korridore Öltransporte durch den Persischen Golf. Bloss: Iran verfügte niemals über die militärischen Mittel Russlands.

Und genauso wie bei den früher geforderten Flugverbotszonen über der Ukraine zum Schutz der Zivilbevölkerung träten auch mit militärisch abgesicherten Weizenlieferungen die beteiligten Länder direkt in den Krieg gegen Russland ein.

Eine militärisch enorm heikle Mission

Landsbergis bestreitet zwar, dass es sich um eine Eskalation handeln würde. Doch das ist zu bezweifeln. Denn Moskau würde solche gegen seinen Willen abgesicherten Korridore nicht kampflos zulassen und sie militärisch wieder schliessen wollen – und dazu hat Russlands Armee die nötigen Mittel.

Russland muss die Seeblockade beenden.
Autor: António Guterres UNO-Generalsekretär

Russland bleibt die dominierende Seemacht im Schwarzen Meer, obschon es sein Flaggschiff «Moskwa» im Krieg verloren hat. Von der russisch besetzten Krim kann es zudem Fliegerabwehr- und Schiffsabwehrwaffen sowie Mittel der elektronischen Kriegsführung einsetzen.

Und noch ist nicht einmal sicher, ob das Nato-Mitglied Türkei Schiffen aus Ländern der westlichen Allianz die Durchfahrt durch seine Meerengen ins Schwarze Meer ermöglichen würde, um eine solche Operation durchzuführen.

Dazu kommt: Die Ukrainer haben ihre Küsten vermint, um zu verhindern, dass russische Schiffe vordringen. Sie müssten wieder entmint werden, was weitaus aufwendiger ist als die Verminung.

Auch wenn die Forderung, Getreidelieferungen aus Odessa zu ermöglichen, überzeugt – sie umzusetzen, ist schwierig und politisch wie militärisch enorm heikel.

Rendez-vous, 25.5.2022, 12:30 Uhr

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