Immer mehr Länder bieten für Risikopersonen eine dritte Corona-Impfung an, jüngst Deutschland. Doch jetzt ruft die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu einem Moratorium für diese Booster-Impfung auf, bis zehn Prozent der Weltbevölkerung geimpft sind. So bleibe mehr Impfstoff übrig für andere Länder. SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler schätzt den WHO-Aufruf ein.
SRF News: Wie sinnvoll ist es, vorerst auf die dritte Impfung zu verzichten?
Thomas Häusler: Das ist schwierig zu sagen. Es gibt noch zu wenige Daten, um sicher zu wissen, ob solche Booster-Impfungen vor allem für ältere Menschen tatsächlich nötig sind. Darauf verweist die WHO auch bei ihrem Ruf nach einem Moratorium. Allerdings gibt es bereits Hinweise, dass bei Hochbetagten, deren Impfung über sechs Monate zurückliegt, der Impfschutz nachlassen könnte.
Wäre es aus wissenschaftlicher Sicht nicht sinnvoller, zuerst alle Menschen zumindest einmal zu impfen?
Für ein Moratorium gibt es gute Gründe. So aus ethischen Überlegungen, denn die globale Impfgerechtigkeit funktioniert nicht. In manchen reichen Ländern müssen Impfdosen weggeworfen werden, weil alle Impfwilligen ihre zwei Dosen bekommen haben. In armen Ländern ist zum Teil fast niemand geimpft. Daraus leitet sich auch ein wissenschaftliches Argument ab: Je weniger Menschen in einzelnen Ländern geimpft sind und je mehr sich deswegen dort das Virus stark ausbreiten kann, desto höher ist die Gefahr, dass weitere gefährliche Varianten entstehen. Viren-Varianten, die auch wieder zu uns gelangen können wie etwa Delta.
Wie dringend braucht es also diese Booster-Impfung?
Da muss man unterscheiden: Für immungeschwächte Menschen ist eine dritte Dosis wohl sehr wichtig. Das sagt auch die WHO. Bei Hochbetagten ist die Datenlage unsicherer. Das betrifft gar nicht so wenige Menschen. Aber es gibt auch die individuelle Sichtweise, jene der Familie und des behandelnden Arztes. Ein Arzt sagte mit gestern: Wenn ich eine hochbetagte Patientin vor mir habe, die im Januar geimpft wurde, geht es um sie. Er sagte auch: Wir müssen beides schaffen: Hier impfen, aber auch in armen Ländern.
Gibt es Daten darüber, wie effektiv diese dritte Impfung bereits ist?
Dazu laufen zurzeit erst Studien. Erfahrungen mit anderen Impfungen zeigten, dass der Schutz nach einer dritten Dosis sicher wieder erhöht werden wird. Für wie lange, ist wiederum unsicher.
Muss man nicht ohnehin davon ausgehen, dass diese Booster-Impfung irgendwann kommen wird?
Die meisten Fachleute gehen davon aus. Offen ist der Zeitpunkt. Das hängt einerseits von den Impfstoffen ab und wie der Körper darauf reagiert, aber eben auch vom Virus. Zum Beispiel, ob es noch weitere Varianten geben wird.
Wie realistisch ist die Forderung der WHO für ein Moratorium?
Wenig realistisch, wie die Vergangenheit zeigt. Die WHO schlägt seit langem immer wieder Alarm wegen fehlenden Impfungen in armen Ländern, womit sie durchaus recht hat. Nur hat sich bisher nichts grundlegend geändert: Die reichen Länder haben zwar immer wieder mehr Geld und auch Impfdosen versprochen. So schicken die USA gerade jetzt wieder mRNA-Impfstoff nach Nigeria. Aber es ist eben immer viel zu wenig. Eine Sprecherin der US-Regierung sprach von einer falschen Herangehensweise der WHO. Man müsse eben beides machen und alle impfen, die es nötig haben. Nur sind die reichen Länder den Beweis dafür bisher schuldig geblieben.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.