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Wikileaks-Gründer vor Anhörung «Viele Amerikaner betrachten Assange als Feind»

Wikileaks-Gründer Julian Assange muss sich ab Montag einer Anhörung stellen. Dabei geht es um die Frage, ob Assange von Grossbritannien in die USA ausgeliefert werden soll.

In den USA soll Assange der Prozess wegen Spionage gemacht werden. Für den Fall einer Verurteilung drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Für den Journalisten Holger Stark ist dies ein Angriff auf die Pressefreiheit.

Holger Stark

Journalist

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Holger Stark ist stellvertretender Chefredaktor der Wochenzeitschrift «Die Zeit». Er hat 2019 die Wikileaks-Dokumente im Spiegel veröffentlicht und mit Assange zusammengearbeitet.

SRF News: Wie steht es um Julian Assanges Gesundheit?

Holger Stark: Letztes Jahr ging es ihm richtig miserabel, da hat er zeitweise Leute nicht erkannt und lange gebraucht, um sich auf Gespräche einzulassen. Er war erkennbar degeneriert. Seine Anwälte und seine Familie sagen aber, dass es ihm mittlerweile etwas besser geht.

Promis demonstrieren gegen Auslieferung Assanges

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Prominente haben auf einem Protestmarsch in London dessen Freiheit gefordert. Zu den Teilnehmern gehörten der Musiker und Produzent Brian Eno, Roger Waters (Pink Floyd), Chrissie Hynde (The Pretenders), die Rapperin M.I.A. und der frühere griechische Finanzminister Gianis Varoufakis. Der Protestzug endete in der Nähe des Parlaments.

Assanges Vater (rechts im Bild) sagte, er verstehe nicht, warum sein Sohn im Gefängnis sei. «Die Haft ist unbegründet», so John Shipton. Modedesignerin Vivienne Westwood (links im Bild) nannte sich einen «Engel der Demokratie» und verlangte von der Justiz, Assange auf freien Fuss zu setzen. Demonstranten riefen «Schäm' dich Boris (Johnson)», auf Plakaten stand unter anderem «Journalismus ist kein Verbrechen».

Würden Sie den Angriff seitens der USA als Angriff auf die Pressefreiheit bezeichnen?

Das kann man gar nicht anders bezeichnen. Julian Assange wird nach einem Spezialgesetz, dem sogenannten «Espionage Act», als Spion verfolgt für etwas, was die klassische Aufgabe von Journalismus ist, nämlich das Publizieren von Vergehen. Wenn dafür die Gefahr droht, als Spion für 175 Jahre ins Gefängnis zu gehen, dann bedroht dies ganz zentral die freie Arbeit von Medien in einer Demokratie.

Assange hat aber auch gegen Grundregeln des Journalismus verstossen. So soll er laut der US-Anklage Chelsea Manning, die Whistleblowerin der US-Armee, angestiftet haben, weitere Dokumente zu suchen. Er soll auch Informationen ungeprüft veröffentlicht haben. Wie ist das zusammenzubringen?

Er war schon immer jemand, der aus einer libertär-anarchistisch geprägten politischen Position kam. Andersherum gilt auch, dass er im Verdacht steht, an einigen Stellen Grenzen überschritten zu haben. Die ungeschwärzte Veröffentlichung der Depeschen des State Departments 2011 war möglicherweise eine solche Grenze. Auch die Frage, ob er damals Manning dazu angestiftet hat, weitere Dokumente zu suchen und bei Wikileaks hochzuladen. Aber all diese Punkte sind nicht entscheidend dafür, ob er als Spion angeklagt und verurteilt werden kann.

Mit Assange zusammenzuarbeiten, ist nicht ganz einfach. Er kann sehr autoritär und erratisch sein.

Sie haben viel mit Assange zusammengearbeitet, kennen ihn seit der Veröffentlichung der Wikileaks-Dokumente. Hat sich Ihre Meinung über ihn verändert?

Mit Assange zusammenzuarbeiten, ist nicht ganz einfach. Er kann sehr autoritär und erratisch sein. Er hat sicher in den vergangenen Jahren eine Reihe von fragwürdigen Schritten unternommen. Seine Nähe zu Russland zum Beispiel, oder zu Donald Trump und der Trump-Kampagne, die er im Wahlkampf 2016 gesucht hat. Ich finde, es ist nicht die Aufgabe eines Journalisten, hinter den Kulissen mit der Kampagne eines Präsidentschaftsbewerbers zu konspirieren. All das macht ihn nicht unbedingt sympathischer. Und trotzdem würde ich sagen, wenn es um seine Auslieferung in die USA geht, spielt all das keine Rolle.

Der UNO-Sonderbeauftragte gegen Folter, Nils Melzer, ist der Meinung, an Assange werde ein Exempel statuiert, um Journalisten einzuschüchtern. Denken Sie, dass es hier nicht nur um Assange geht, sondern auch generell um die Pressefreiheit?

Damit hat Melzer recht. Das Exempel betrifft den klassischen Journalismus: Wer traut sich eigentlich noch, Dinge zu publizieren, die beispielsweise die amerikanische Armee, die CIA oder das Weisse Haus betreffen? Und das zweite Signal, um das es aus meiner Sicht geht, ist eines an potenzielle Whistleblower. Auch dort soll eine klare Warnung gesendet werden: «Seht her, das ist Assange passiert, er ist 175 Jahre ins Gefängnis gegangen. Wenn ihr das tut, geschieht euch das ebenso.»

Sollte es zu einer Gerichtsverhandlung in den USA kommen, was würde das für Whistleblower weltweit bedeuten?

Die Botschaft wäre, dass der lange Arm der amerikanischen Regierung auch zehn Jahre danach greift. Dass sie unerbittlich in der Verfolgung bleibt und dass das Risiko wahnsinnig hoch ist. Ich glaube, in den USA gäbe es in einem Gerichtsverfahren wenig Solidarisierung mit Assange. Viele Amerikaner betrachten ihn als Feind. Er ist ja Australier, er ist kein Patriot aus Sicht der Amerikaner. Es könnte ihm sehr schwerfallen, sich in einem fairen Gerichtsverfahren zu verteidigen.

Das Gespräch führte Noemi Ackermann.

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