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Zum dritten Mal Neuwahlen? Ein Patt lähmt die israelische Politik

Seit einem Jahr gelingt es in Israel nicht, eine neue Regierung zu bilden. Ein Rückblick – und ein Ausblick.

Der Startschuss zur aktuellen Regierungskrise in Israel fiel fast auf den Tag genau vor einem Jahr. Buchstäblich: Radikale Palästinenserorganisationen in Gaza beschossen Israel wieder einmal mit Hunderten von Raketen. Israel wehrte sich mit Vergeltungsschlägen. Danach ein Waffenstillstand.

Verteidigungsminister Avigdor Lieberman nannte das Ganze «ein sinnloses Theater». Premierminister Benjamin Netanjahu sei gegenüber Gaza nicht hart genug. Lieberman trat kurzerhand mit seiner Partei aus der Regierungskoalition aus. Mit nur einem Sitz Mehrheit wollte Netanjahu nicht mehr weitermachen und kündigte am 24. Dezember Neuwahlen für den 9. April an.

Wahlkampf mit harten Bandagen

Es begann ein beispiellos gehässiger Wahlkampf. Netanjahu bekam mit Benny Gantz, einem ehemaligen Armeechef, einen gefährlichen Herausforderer. Gantz trat in seinem ersten umstrittenen Wahlkampfspot als gnadenloser Feldherr in Gaza auf – Netanjahu schoss mit schwerem Geschütz zurück und verunglimpfte ihn als schwachen Linken.

Netanjahu holte den mächtigsten Mann der Welt als Wahlhelfer: In einem TV-Spot trat US-Präsident Donald Trump auf und lobte die Verlegung der US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem. Doch selbst mit Trump an seiner Seite wurde es knapp für Netanjahu. Eine Strafuntersuchung gegen Netanjahu wegen mutmasslicher Korruption spielte seinem Rivalen Gantz in die Hand

Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu

Tatsächlich erklärte sich Ganz in der Wahlnacht am 9. April dieses Jahres zunächst als Sieger. Doch Netanjahus Anhänger liessen sich nicht beirren: «Gantz gewinnt die Wahlnacht, aber morgen früh ist Netanjahu weiterhin Premierminister!», hiess es bei seinen Fans. Sie sollten Recht behalten. Netanjahu gewann im April das Kopf-an-Kopf-Rennen gegen seinen Rivalen.

Zwei Einzelbilder von Gantz und Netanjahu.
Legende: Gantz (links) und Netanjahu: Keiner will klein beigeben. Reuters

Netanjahu findet keine Partner

Bis zur letzten Minute und mit jeder nur möglichen Partei versuchte er, eine Regierung zu bilden. Das trug ihm viel Spott ein. Doch Netanjahu scheiterte mit der Regierungsbildung. Und wieder wurden vorgezogene Neuwahlen angesetzt. Diesmal für September. Die israelischen Wählerinnen und Wählern waren frustriert.

Israels Regierung tue nichts gegen die grosse Armut im Land, hiess es. Oder: Neuwahlen sind eine Geldverschwendung. Unzufrieden zeigte sich auch die Bevölkerung im Süden Israels, die in diesem turbulenten Jahr immer häufiger vor den Raketen aus Gaza in ihre Luftschutzkeller flüchten musste. Die Kritik an den Dauerkämpfen zwischen Israel und Gaza treffen auch Premier Netanjahu: ihm wird vorgeworfen, er benutze die Eskalationen als Wahlkampftaktik.

Auch zweite Wahl bringt keinen Sieger

Im September verliert Netanjahu die Wahlen schliesslich hauchdünn. Eine Nasenlänge voraus ist ihm sein Herausforderer Benny Gantz. Zum ersten Mal in mehr als einem Jahrzehnt scheint es möglich, dass ein anderer als Netanjahu Premierminister Israels wird.

Und doch ist es noch nicht so weit in Israel, denn mit der Regierungsmehrheit ist es so eine Sache. Seit September haben Netanjahu und Gantz versucht, eine Regierung zu bilden – ohne Erfolg. Was jetzt? Fragt sich die israelische Bevölkerung. Nur nicht noch einmal vorgezogene Neuwahlen, hoffen die meisten.

Drei sture Männer an den Schalthebeln

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Die Regierungsbildung ist so schwierig, weil weder Netanjahu noch Gantz genügend Parlamentssitze für eine Regierungsmehrheit haben. Sie müssten ihre Parteien zu einer grossen Koalition zusammenschliessen. Doch daran knüpfen beide Bedingungen: Netanjahu will vorerst Premier bleiben und keine Regierung ohne die Ultraorthodoxen. Und Gantz hat seinen Wählerinnen und Wählern versprochen, er werde Netanjahu ablösen. Das Patt auflösen könnte der frühere Verteidigungsminister Lieberman. Er hätte genügend Sitze, um entweder Gantz oder Netanjahu zu einer Mehrheit zu verhelfen. Doch er will kategorisch weder den einen noch den anderen unterstützen.

Sollte Gantz es bis heute Abend nicht schaffen, eine Regierung zu bilden, kann Staatspräsident Rivlin das Parlament damit beauftragen, jemanden zu finden, den 61 der total 120 Abgeordneten unterstützen – diese Person würde dann Premier. Dabei würde Netanjahu sicher ein Wörtchen mitreden wollen. Gegenüber den rechten Parteien würde er darauf verweisen, dass er in Donald Trump einen guten Freund hat, der neuerdings die Siedler unterstützt. Dabei bleibt die allgemeine Lage in Israel heikel: Alles, was Netanjahu als amtierender Premier entscheidet, kann er auch wahlkämpferisch ausnützen. Dabei braucht es gerade jetzt besonnene Entscheide – angesichts der Konflikte mit den Palästinensern im Gazastreifen und mit den Iranern in Syrien.

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