Zum Inhalt springen

Zwischenwahlen in den USA «Die Leute unterschätzen, wie wütend die Frauen sind»

Jubel brandet durch den Saal, als Stacey Abrams auf die Bühne tritt. An einem Spendenanlass der Demokraten in Atlanta ist die Gouverneurskandidatin die Hoffnungsträgerin. Sie verspricht, für Abtreibungsfreiheit zu kämpfen.

Frau spricht an Rednerpult
Legende: Stacey Abrams kandidiert als Gouverneurin von Georgia. Sie kämpft für höhere Wahlbeteiligung, aber auch Abtreibungsfreiheit. SRF

In Georgia gilt ein Abtreibungsverbot ab der sechsten Schwangerschaftswoche. Es ist in Kraft seit dem Urteil des höchsten Gerichts, das diesen Sommer das bundesweit garantierte Recht auf Abtreibung aufhob. Ein Schock für viele liberale Frauen. Doch die Wut darüber könnte den Demokraten in den Zwischenwahlen helfen, davon sind viele an dem Anlass überzeugt.

Die Leute haben unterschätzt, wie wütend Frauen über diesen Entscheid sind.
Autor: Caroline Ahmann Freiwillige Stimmenzählerin

«Viele Leute gehen wählen, die sonst keinen Sinn darin sehen», sagt Saira Draper, Kandidatin für das Repräsentantenhaus von Georgia. Shea Roberts, Abgeordnete des Repräsentantenhauses von Georgia hat ihre persönliche Abtreibung in einem konservativen Medium veröffentlicht, um auch Republikanerinnen anzusprechen. Der Fötus war nicht überlebensfähig und die Schwangerschaft für sie riskant.

Zwischenwahlen in den USA am 8. November

Box aufklappen Box zuklappen

In den Zwischenwahlen (Midterms) am 8. November geht es einerseits um die Mehrheit im Kongress, dem US-Parlament in Washington. In der grossen Kammer, dem Repräsentantenhaus, werden alle Abgeordneten neu gewählt. In der kleinen Kammer werden ein Drittel der Sitze neu gewählt. Derzeit haben die Demokraten eine knappe Mehrheit in beiden Kammern. Historisch gesehen verliert die regierende Partei jedoch meist Sitze in den Zwischenwahlen.

Zusätzlich geht es am Termin der Zwischenwahlen aber auch um viele einflussreiche Gouverneursposten sowie Parlamentssitze auf Ebene der Bundesstaaten.

«Ich muss zugeben, ich bekam einige böse Zuschriften. Doch es meldeten sich auch einige Republikanerinnen, die sagten, sie überlegen sich erstmals, ihre Stimme den Demokraten zu geben.» Und Caroline Ahmann ist voller Zuversicht für die Zwischenwahlen: «Ich glaube, wir können die Zwischenwahlen gewinnen. Die Leute haben unterschätzt, wie wütend Frauen über diesen Entscheid sind, und viele haben sich neu zum Wählen registriert.»

Grosser Effort von Freiwilligen

Caroline Ahmann ist eine von unzähligen Freiwilligen der Demokraten. Wir treffen sie am Tag danach in ihrer Küche in einem malerischen Südstaatenhaus.

Zwei Frauen bündeln Flyer in einer Küche.
Legende: Caroline Ahmann und ihre Kollegin bündeln Flyer. Sie sind fest entschlossen, bis zur Wahl am 8. November um Wählerstimmen zu kämpfen. SRF

Mit einer Kollegin bereitet sie Kisten voll mit Flugblättern vor. Die einen Flyer haben einen QR-Code aufgedruckt, mit dem man sich direkt zum Wählen registrieren lassen kann. Diese Flyer deponieren sie an verschiedenen Orten in der Stadt. Denn ohne sich vorweg zu registrieren, darf man in Georgia nicht wählen.

Die anderen Flyer verteilen sie an Haustüren. Darauf steht, dass die republikanische Politik der Abtreibungsverbote die Gesundheit von Frauen gefährdet. Die Demokraten nutzen Datenbanken, um gezielt jene Menschen anzugehen, die Demokraten sind, Wechselwählerinnen oder Unabhängige. Das Ziel: diese auch an die Urnen zu bringen.

«Wir haben Adressen und verteilen Flyer bei ihren Häusern. Aber wir haben auch Telefonnummern. Wir werden jeden Einzelnen anrufen, über 2000 Leute, und fragen, wie sie wählen wollen – und ob sie ein Transportmittel zur Wahl haben. Wenn nicht, dann wird der kleine Bus vor meinem Haus sehr beschäftigt sein, denn wir werden sie fahren», erklärt Ahmann. Die Entschlossenheit steht ihr dabei ins Gesicht geschrieben.

Zwei junge Frauen schauen auf ein Smartphone
Legende: Loren Walter (links) und Madysen Forney sind politisch aktiv. Unter dem Hashtag #myfirstvote erzählen sie, wie sie das erste Mal gewählt haben. Das soll auch andere zum Wählen motivieren. SRF

Auch Loren Walter und Madysen Forney von der parteiunabhängigen Organisation Ignite wollen mehr Menschen an die Urnen bringen – nämlich die Jungen, eine Altersgruppe mit oft tiefer Wahlbeteiligung.

Abtreibungsfreiheit als zündender Funke

Ihre Altersgruppe erreichen sie mit einer Kampagne in den sozialen Medien, aber auch an den Universitäten, wo sie Studierende ansprechen. Die Frage der Abtreibungsfreiheit habe einen Funken gezündet, um an den Wahlen teilzunehmen. «Die Abtreibungsfrage ist ein treibender Faktor für Junge, sich zu engagieren und ins Gespräch zu kommen. Sie denken, ok, das betrifft mich, was unternehmen wir», sagt Loren Walter.

«Gerade Frauen in meinem Alter sind super wütend», ergänzt Madysen Forney. «Es ist wichtig, dass Frauen jeden Alters, Rasse, Hautfarbe für das wählen können, was sie wollen und Rechte, die wichtig für sie sind. Und dass sie über ihren Körper entscheiden können.»

Entscheidende Vororte

In den Vororten von Atlanta entscheiden sich Wahlen. Dank Georgia ist Joe Biden Präsident. Dank Georgia haben die Demokraten im Senat eine Mehrheit. Der Bundesstaat ist zu einem der heiss umkämpftesten Swing States geworden, seit die Demokraten 2020 hier erstmals seit Jahrzehnten gewannen.

Die Abtreibung ist ein emotionales Thema, das dem Wahlkampf der Zwischenwahlen einen Mobilisierungsschub verleiht. Für die Demokraten ist es ein Hoffnungsschimmer, da die regierende Partei in den Zwischenwahlen erfahrungsgemäss oft abgestraft wird und verliert.

Doch auch die Republikaner kämpfen um Stimmen. Wir treffen Sandy Donatucci, Kandidatin für das Repräsentantenhaus von Georgia in Gwinnett County, einem Vorort von Georgia. Sie klingelt an einer Tür. Auch die Republikanerin geht gezielt konservative oder unabhängige Wählerinnen und Wähler an, um diese an die Urnen zu bringen.

Frau in Vorortquartier
Legende: Sandy Donatucci sagt, die wichtigsten Themen für die Menschen seien die Teuerung, die Kriminalität, die Schulen. Das Thema Abtreibung spricht die Republikanerin nicht an. SRF

Abtreibung, das vor dem Urteil ein zentrales Wahlkampfthema der Konservativen war, spricht sie nicht an, sondern andere Themen, die den Menschen Sorgen bereiten. «Ein Problem ist die Teuerung. Kürzlich bin ich mit drei halbleeren Säcken aus dem Laden gekommen, für 150 Dollar», sagt sie, um die Konversation zu beginnen. Dann spricht sie über zu hohe Kriminalität und Schulpolitik. Der Anwohner nickt, ihm entspricht die konservative Politik.

Wir konfrontieren Donatucci damit, dass viele Frauen wütend sind über das Abtreibungsverbot in Georgia, das von den Republikanern eingeführt wurde. Doch die Republikanerin relativiert. «Bei den meisten, mit denen ich spreche, scheint es kein grosses Thema zu sein. Wenn es aufkommt, sage ich jeweils, es geht nicht nur um die Mutter, sondern auch um das Baby. Es gibt Adoption, das ist unsere Richtung.»

Vorortshaus mit zwei Menschen die Richtung Tür gehen
Legende: Die Vororte von Georgia sind umkämpft bei den Wahlen. Beide Parteien klopfen hier an Türen, um Wählerinnen und Wähler zu motivieren, für sie an die Urnen zu gehen. SRF

Sammy Baker, Präsident der Gwinnett County Republicans, räumt ein, dass die Republikaner einige Stimmen in der Mitte oder bei Jungen verlieren könnten. «Doch es gibt auch viele Frauen, die strikt gegen Abtreibungen sind. Es geht in beide Richtungen. Und wir haben nicht den Eindruck, dass die Abtreibung das wichtigste Thema ist für die Menschen, sondern die Teuerung.» Die Republikaner fokussieren den Wahlkampf darauf, dass Präsident Biden und die Demokraten für die hohe Teuerung verantwortlich seien.

Persönliche Erfahrungen prägen

In einem hübschen Park im Vorort East Cobb sprechen wir mit vielen Leuten. Die Teuerung beschäftigt tatsächlich alle. Doch nicht alle geben Präsident Biden dafür die Schuld. Das Abtreibungsverbot beschäftigt auch hier viele. Wie Mary Paris, Mutter und Grossmutter, pensionierte Pflegefachfrau. Sie hat beschlossen, sich als Freiwillige für die Demokraten zu melden und ebenfalls an Türen zu klopfen. Sie hofft, dass das Thema Abtreibung viele Junge dazu bringt, zu wählen.

Ganz am Schluss eines langen Gesprächs erzählt sie ihre persönliche Geschichte. Ihr Sohn kam mit schwersten Missbildungen zur Welt, in einer Zeit, bevor es Ultraschall gab. «Für die Woche, die er überlebte, war er angeschlossen an unzählige Schläuche. Wenn ich gewusst hätte, dass es keine Überlebenschance gibt, dass dieses Kerlchen so viel leiden muss, natürlich hätte ich abgetrieben, um ihm das Leiden zu ersparen. Ich möchte einfach, dass jede Frau diese Entscheidung selber treffen darf.»

Frau sitzt auf Parkbank
Legende: Mary Paris engagiert sich im Wahlkampf für die Demokraten. Sie möchte dazu beitragen, dass junge Frauen Zugang zur Abtreibung haben. SRF

Die Abtreibungsfrage geht vielen Frauen nahe, das ist in Georgia deutlich zu spüren. Doch auch die Republikaner haben mit der Wirtschaftssituation gute Wahlkampfargumente. Tatsächlich die Mehrheit im Kongress zu halten und die Wahl zu gewinnen, wird schwierig für die Demokraten. Dazu müssten sie ihre gesamte Basis und auch viele Unabhängige für sich an die Urnen bringen.

Tagesschau, 23.10.2022, 19.30 Uhr

Meistgelesene Artikel