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Zwist bei Parteikonferenz Labour zwischen den Fronten

«Labour plunges into Brexit chaos», auf Deutsch: Die Labour-Partei versinkt im Brexit-Chaos. So titelte die Sonntagszeitung «The Observer» am Wochenende. Autsch! So hatte sich die Parteileitung den Start der Konferenz in Brighton nicht vorgestellt.

Parteikonferenzen im Herbst sind eigentlich Höhepunkte im Kalender der britischen Parteien. Hier motiviert und mobilisiert die Parteileitung die Mitglieder und in engagierten Reden wird die politische Ausrichtung präsentiert.

Die britischen Sozialdemokraten hätten auch allen Grund enthusiastisch zu sein. Seit Jeremy Corbyns Amtsantritt als Parteichef ist Labour mit mittlerweile mehr als einer halben Million Mitglieder zur grössten politischen Partei Westeuropas angewachsen. Gleichzeitig regiert der politische Gegner Boris Johnson ohne Mehrheit im Parlament. Also eine optimale Ausgangslage für die Opposition. Eigentlich.

Eklat zum Konferenzauftakt

Doch die Labourpartei kämpft genauso mit den Rissen, die Brexit verursacht. Für den Eklat am Konferenzauftakt sorgte ein, später zurückgezogener, Antrag von Vertretern des linken Flügels, den Posten des Parteivize abzuschaffen.

Der Parteivize heisst Tom Watson und ist manchen ein Dorn im Auge. Er hat Corbyns Brexit-Kurs offen kritisiert, und argumentiert, dass sich Labour bei einem zweiten Referendum für den Verbleib in der EU engagieren soll. Der Antrag, seinen Posten aufzuheben, kam von einigen innerhalb des linken Flügels der Partei.

Inwiefern Corbyn selbst von diesem Coup wusste, ist unklar. Er mahnt zur Geschlossenheit und erklärt: «Ich schätze Tom Watson und arbeite gerne mit ihm zusammen.» Auch Watson selbst demonstriert Einigkeit: «Wir hatten keinen guten Konferenzstart. Einige am linken Rand versuchen mit ihren sektiererischen Attacken die Geschlossenheit von Jeremy Corbyn und mir zu untergraben. Es ist jetzt an uns die Partei in den kommenden Tagen wieder zu einen.»

Einigkeit ist hier in Brighton bei innenpolitischen Fragen spürbar. Doch draussen vor dem Eingang zum Konferenzzentrum präsentieren pro-EU Aktivisten demonstrativ die Frage, welche die Partei im Moment spaltet: Soll Labour bei einem zweiten Referendum für den Verbleib in der EU kämpfen? Unter «JA» oder «NEIN» können Mitglieder einen Sticker kleben. Rund 2/3 aller Sticker kleben unter «JA».

Positionierung bei Neuwahlen entscheidend

Das Skurrile: Eine zweite Brexit-Volksabstimmung ist im Moment gar keine wahrscheinliche Variante. Die Frage ist vor allem für die Positionierung bei Neuwahlen entscheidend und ein Dilemma für die Partei. Ein Passant erklärt: «Ich bin gegen Brexit und wähle Labour erst wieder, wenn sie sich klar für den Verbleib in der EU einsetzen.»

Innen im Konferenzzentrum argumentiert Gewerkschafter Paul Embery für das Gegenteil: «Es wäre verrückt, wenn sich Labour für ein zweites Referendum und den EU-Verbleib einsetzt. Damit laufen wir Gefahr viele Wähler in Labour-Hoheitsgebieten in England zu verlieren.»

Entlang der Brexit-Front positionieren sich in diesen Tagen die britischen Parteien neu: Unter Boris Johnson werden die Konservativen zu den Brexit-Hardlinern. Die EU-freundlichen Liberaldemokraten haben unlängst ebenfalls einen radikaleren Kurs präsentiert, statt eines zweiten Referendums priorisieren sie jetzt einen sofortigen Brexit-Stopp.

Jeremy Corbyn versucht nun, im Sinne einer Volkspartei, Brexit-Befürworter und Gegner in der Partei zu vereinen. Eine Strategie, die im Moment in Grossbritannien kaum eine Chance hat.

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