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150 Jahre Bundesgericht Ein Gerichtsjubiläum im Schatten politischer Druckversuche

Vor 150 Jahren wurde das Bundesgericht zu einem ständigen und unabhängigen Gericht. Das Jubiläum fällt in eine Zeit, in der die Justiz weltweit unter Druck kommt.

Höchste Gerichte sind weltweit Ziel autoritärer Regierungen. «International beobachten wir, dass populistische Regierungen Angriffe auf die Gerichte starten, weil die Gerichte die Verfassung schützen wollen und das den Populisten häufig ein Dorn im Auge ist», sagt Rechtsprofessorin Helen Keller von der Universität Zürich. Das habe man in Ungarn und Polen gesehen sowie aktuell in den USA.

Zwei Männer schütteln sich Hände
Legende: Justizminister Beat Jans (zweiter von rechts) schüttelt dem Bundesgerichtspräsidenten François Chaix am Festakt die Hand, umrahmt von Gerichtsweibeln. Bundesgericht

Davon ist die Schweiz weit entfernt. Das hat auch mit dem Aufbau des Justizsystems zu tun. Laut Keller ist das Bundesgericht stärker als andere Höchstgerichte, weil es viele Richterinnen und Richter hat. Während am amerikanischen Supreme Court beispielsweise nur neun auf Lebenszeit ernannte Richter über die wichtigsten Rechtsfragen entscheiden, sind es am Schweizer Bundesgericht 40 mit beschränkter Amtszeit. «Die Macht in Lausanne ist auf mehr Köpfe verteilt», sagt Keller.

Warum eine 150-Jahr-Feier?

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Eigentlich gibt es das Bundesgericht bereits seit 1848. Doch erst 1875 wurde es zum ständigen Gericht mit Sitz in Lausanne. Erst ab diesem Zeitpunkt arbeiteten die Bundesrichter vollamtlich. Zuvor war es normal, dass sie gleichzeitig Politiker waren, sei es im nationalen Parlament oder in kantonalen Regierungen. Einige Bundesrichter wurden später Bundesräte.

Laut Goran Seferovic, Professor für öffentliches Recht an der ZHAW in Winterthur, fanden das die meisten damals unproblematisch. «Es wurde sogar als Vorteil gesehen, dass ein Bundesrichter auch die politische Tätigkeit kennt und von den unterschiedlichen Funktionen profitiert.» Das Verständnis von Gewaltenteilung sei ein anderes gewesen als heute.

Erst als das Bundesgericht 1875 in seiner heutigen Form gegründet wurde, argumentierte der Bundesrat, dass man die Richterstellen vollamtlich und unabhängig ausgestalten müsse.

Das Bundesgericht geniesst gemäss Umfragen denn auch beispielloses Vertrauen – es steht besser da als die Politik.

Bundesgericht hat bei der Bevölkerung ein gutes Image

Helen Keller überrascht das ein bisschen, denn die Einflussnahme der Politik habe in den letzten Jahren auch in der Schweiz zugenommen. «In letzter Zeit will die Politik heikle politische Fragen bewusst nicht lösen, weil man keine Mehrheiten findet – damit schiebt man den schwarzen Peter dem Bundesgericht zu.»

Denn das Bundesgericht kann sich nicht weigern, einen Streitfall zu lösen. Es muss auch unliebsame Themen behandeln.

Auch sonst stellt Keller erste besorgniserregende Tendenzen fest: «Dass beispielsweise Richterinnen und Richter persönlich für ein Urteil verantwortlich gemacht und in der Presse namentlich genannt werden.» Oder dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter bei der Wiederwahl vom Parlament abgestraft würden.

Schweiz wird international kritisiert

Die beschränkte Amtszeit ist eine Schweizer Besonderheit, welche die Gerichte anfällig macht für politische Einflussnahme.

«Die Wiederwahl ist eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Richter», sagt Keller. «Wenn sie sich alle sechs Jahre zur Wahl stellen müssen, müssen sie auch Angst haben, nicht wiedergewählt zu werden.»

Dass Richter faktisch Mitglied in einer Partei seien und ihrer Partei als Dankeschön für die Unterstützung bei den regelmässigen Wahlen einen Prozentsatz des Lohns abgeben müssen, sorgt international für Kritik an der Schweiz.

Theoretisch wäre es in der Schweiz sogar möglich, dass eine Partei die Kontrolle über das Bundesgericht übernimmt, wenn sie im Parlament eine Zwei-Drittels-Mehrheit hätte.

Gegenwärtig halten sich die grossen Parteien im Schweizer Parlament einigermassen die Waage. Dass eine Partei sämtliche Bundesrichter bestimmt, bleibt also – zumindest in der Schweiz – wohl ein Gedankenspiel.

Echo der Zeit, 15.5.2025, 18 Uhr; wilh

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