Höchste Gerichte sind weltweit Ziel autoritärer Regierungen. «International beobachten wir, dass populistische Regierungen Angriffe auf die Gerichte starten, weil die Gerichte die Verfassung schützen wollen und das den Populisten häufig ein Dorn im Auge ist», sagt Rechtsprofessorin Helen Keller von der Universität Zürich. Das habe man in Ungarn und Polen gesehen sowie aktuell in den USA.
Davon ist die Schweiz weit entfernt. Das hat auch mit dem Aufbau des Justizsystems zu tun. Laut Keller ist das Bundesgericht stärker als andere Höchstgerichte, weil es viele Richterinnen und Richter hat. Während am amerikanischen Supreme Court beispielsweise nur neun auf Lebenszeit ernannte Richter über die wichtigsten Rechtsfragen entscheiden, sind es am Schweizer Bundesgericht 40 mit beschränkter Amtszeit. «Die Macht in Lausanne ist auf mehr Köpfe verteilt», sagt Keller.
Das Bundesgericht geniesst gemäss Umfragen denn auch beispielloses Vertrauen – es steht besser da als die Politik.
Bundesgericht hat bei der Bevölkerung ein gutes Image
Helen Keller überrascht das ein bisschen, denn die Einflussnahme der Politik habe in den letzten Jahren auch in der Schweiz zugenommen. «In letzter Zeit will die Politik heikle politische Fragen bewusst nicht lösen, weil man keine Mehrheiten findet – damit schiebt man den schwarzen Peter dem Bundesgericht zu.»
Denn das Bundesgericht kann sich nicht weigern, einen Streitfall zu lösen. Es muss auch unliebsame Themen behandeln.
Auch sonst stellt Keller erste besorgniserregende Tendenzen fest: «Dass beispielsweise Richterinnen und Richter persönlich für ein Urteil verantwortlich gemacht und in der Presse namentlich genannt werden.» Oder dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter bei der Wiederwahl vom Parlament abgestraft würden.
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Bild 1 von 1. Ankunft der Gäste. Bildquelle: Bundesgericht.
Schweiz wird international kritisiert
Die beschränkte Amtszeit ist eine Schweizer Besonderheit, welche die Gerichte anfällig macht für politische Einflussnahme.
«Die Wiederwahl ist eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Richter», sagt Keller. «Wenn sie sich alle sechs Jahre zur Wahl stellen müssen, müssen sie auch Angst haben, nicht wiedergewählt zu werden.»
Dass Richter faktisch Mitglied in einer Partei seien und ihrer Partei als Dankeschön für die Unterstützung bei den regelmässigen Wahlen einen Prozentsatz des Lohns abgeben müssen, sorgt international für Kritik an der Schweiz.
Theoretisch wäre es in der Schweiz sogar möglich, dass eine Partei die Kontrolle über das Bundesgericht übernimmt, wenn sie im Parlament eine Zwei-Drittels-Mehrheit hätte.
Gegenwärtig halten sich die grossen Parteien im Schweizer Parlament einigermassen die Waage. Dass eine Partei sämtliche Bundesrichter bestimmt, bleibt also – zumindest in der Schweiz – wohl ein Gedankenspiel.