In den vergangenen 25 Jahren wurden viele nationale Umweltschutz-Vorlagen angenommen. Ende der Achtziger und Anfang der Neunziger wurden die Moore geschützt, die Alpen ebenfalls und der Bau von neuen Atomkraftwerken unterlag einem Moratorium. Die letzte grosse Vorlage mit Verkehrs- und Alpenschutzbezug, der Avanti-Gegenvorschlag, wurde 2004 an der Urne verworfen.
Nun steht die Abstimmung über die zweite Gotthardröhre am 28. Februar an. Und es sieht derzeit nach einer hohen Zustimmung aus. Ziehen umweltpolitische Themen einfach nicht mehr bei den Schweizer Bürgern?
«Leute weniger kritisch bezüglich Umwelt»
«Heute steht der Umweltschutz nicht mehr so sehr im Vordergrund wie vielleicht in den Achtzigern und Neunzigern. Die Leute beschäftigen andere Herausforderungen», meint Politologe Andreas Ladner. Vor allem seien die Mobilitätsbedürfnisse weiter gestiegen. «Dies würde dafür sprechen, dass Leute etwas weniger kritisch im Bezug auf Umweltschutzthemen sind.»
Die Gegner der zweiten Gotthardröhre sehen in der Vorlage eine Salamitaktik. Zwar ist gesetzlich vorgesehen, dass in Zukunft auch mit zwei Röhren jeweils nur eine Spur für den Verkehr freigegeben würde. Doch dies bezweifeln die Gegner – auch öffentlich.
Gesetzesartikel lassen sich rasch ändern
Nicht ganz zu Unrecht, denn Gesetzesartikel lassen sich einfacher im Nachhinein wieder ändern als Verfassungsartikel. Doch offenbar nehmen dies die Stimmbürger in Kauf. «Die Leute sind heute vielleicht pragmatischer», meint Ladner. «Umweltschutz ist keine Glaubenssache mehr. Sondern man fragt sich: Braucht es neue Kapazitäten? Kann man sich diese leisten?»
Alpenschutz nicht mehr so wichtig?
Es zeigt sich: Der Bedarf an Sanierung der bestehenden Gotthardröhre ist unbestritten. Nicht unwichtig ist auch die Frage nach dem nationalen Zusammenhalt – ein oft ins Feld geführtes Argument für die zweite Gotthardröhre ist der Anschluss des Tessins an den Rest des Landes.
Diese Frage wird in der öffentlichen Debatte stärker gewichtet als das Kontra-Argument des Alpenschutzes, das noch vor einigen Jahren als essenziell und auch symbolträchtig angesehen wurde. 2004 wurde der Avanti-Gegenvorschlag deswegen abgelehnt.
Heute herrsche im Gegenteil eine grössere Nachfrage an Mobilität, egal ob auf der Schiene oder auf der Strasse, meint Politologe Ladner. «Ich glaube nicht, dass die Entscheidung am 28. Februar eine ist, in welcher der öffentliche Verkehr versus die Gotthardröhre steht. Sondern eine aufgrund der Frage, ob es eine ausgebaute Infrastruktur wegen mehr Leuten und mehr Mobilität braucht.»
So wird sich weisen, ob dem Schweizer Stimmvolk die intakten Alpen als nationales Symbol oder die vergleichsweise praktische Infrastruktur wichtiger sind.
Bisherige Meilensteine in der Umwelt- und Verkehrspolitik:
1987, Rothenthurm-Initiative zum Schutz der Moore, 57% Ja
Im Schwyzer Hochmoor bei Rothenthurm wollte das Militär einen Waffenplatz bauen. Nach jahrelangem Streit entschied das Volk: Hochmoor bleibt geschützt.
1990, Stopp dem Atomkraftwerkbau (Moratorium), 54,5% Ja
Das beschlossene Moratorium für den Bau neuer Atomkraftwerke dauerte zehn Jahre. Das nachfolgende Moratorium wurde 2003 wurde jedoch abgelehnt.
1994, Alpenschutz-Initiative, 51,9% Ja
In der Bundesverfassung wurde der Schutz der Alpen vor den Auswirkungen des Transitverkehrs festgehalten. Darunter gehört auch die Verlagerungspolitik des Güterverkehrs von der Strasse auf die Schiene sowie das Verbot des weiteren Transitstrassenausbaus im Alpengebiet. Die Initiative legte den Grundstein für den Alpenschutz. Die mangelnde Umsetzung wird immer noch kritisiert, auch in der bestehenden Abstimmung über die zweite Gotthardröhre.
2004, Avanti-Gegenvorschlag, 62,8% Nein
Der Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative hätte vorgesehen, das Nationalstrassennetz fertigzustellen, Engpässe auf Autobahnen zu beseitigen und Verkehrsprobleme in den Agglomerationen zu lindern. Die Vorlage war jedoch zu kompliziert und vielschichtig. Vor allem die vorgesehene Lockerung des Alpenschutzartikels von 1994 führte zu einem wuchtigen Nein.