Die Geschichte des Impfens beginnt im 18. Jahrhundert. Damals leiden die Menschen unter den Pocken. Die hochansteckende Krankheit verbreitet sich schnell von Mensch zu Mensch und fordert allein in Europa jährlich hunderttausende Todesopfer. In England beobachten Ärzte, dass Leute, die die Kuhpocken durchgemacht haben, nicht mehr an den Pocken erkranken.
Der Landarzt Edward Jenner wagt 1796 den Versuch. Er entnimmt einer mit Kuhpocken infizierten Melkerin ein bisschen Eiter und ritzt diesen einem achtjährigen Jungen in den Arm. Ein erster Meilenstein der Impfgeschichte.
Mit dem Labor beginnt das moderne Impfen
«Das ist der erste Fall des Impfgedankens, dass durch das Erzeugen einer Abwehrreaktion im Kontakt mit den Kuhpocken eine Immunität gegen die menschlichen Pocken erzeugt werden könnte», sagt Flurin Condrau, Medizingeschichtsprofessor an der Universität Zürich. Die Impfung funktioniert, auch wenn damals noch niemand weiss, was ein Virus ist.
Die moderne Impfgeschichte beginnt allerdings erst um 1870. Damals entwickeln Wissenschaftler wie Louis Pasteur und Robert Koch das medizinische Labor. «Im Moment, in dem die Forschung anfängt, im Labor zu versuchen, Krankheitserreger selbst zu identifizieren und mit ihnen umzugehen, wird der Impfgedanke auf eine ganz neue Grundlage gestellt.»
Versuche können durchgeführt werden, zum Beispiel mit abgeschwächten oder abgetöteten Erregern. «Das macht das moderne Impfen erst möglich.»
Impfen in der Schweiz
Pasteur und Koch entwickeln auf die Art Impfungen gegen Milzbrand und Tollwut. Im 20. Jahrhundert kommen immer mehr Impfstoffe dazu, etwa jener gegen Kinderlähmung. 1980 erklärt die WHO die Pocken für ausgerottet – einer der grössten Erfolge des Impfens, so Condrau. «Durch Impfstoffe ist die Kontrolle von ansteckenden Krankheiten entscheidend verändert worden.»
Verunreinigung führt zu 77 Todesopfern
Doch es gibt auch Fehlleistungen. Ein Skandal ist das Lübecker Impfunglück von 1930, als 77 Kinder an einer verunreinigten Tuberkuloseimpfung sterben. Solche Fälle bedeuten immer auch einen Vertrauensverlust. Die Impfskepsis gibt es schon so lange, wie es Impfungen gibt. In der Schweiz lehnt das Volk 1882 das Epidemiengesetz klar ab, weil darin eine Impfpflicht vorgesehen ist.
In der Debatte zum aktuellen Epidemiengesetz von 2013 dreht sich der Abstimmungskampf auch praktisch nur um das Impfobligatorium, das der Bund in Notsituationen ergreifen könnte. Das Gesetz wird angenommen.
SRF-Wissenschaftsredaktor Thomas Häusler sagt, die heutige Skepsis sei auch damit verbunden, dass viele Menschen Alternativen zur wissenschaftlichen Schulmedizin vertrauten. «Leute, die sich für Alternativmedizin erwärmen, sind oft auch impfskeptisch.»
Nebenwirkungen werden überschätzt
Nicht wenige von ihnen würden alternative Heilmethoden der Schulmedizin vorziehen. «Und damit ist einfach oft Impfskepsis verbunden.» Aus wissenschaftlicher Sicht sei der Vergleich zwischen dem Risiko von Nebenwirkungen und dem Schutz vor der Krankheit entscheidend.
«Oft ist es so, dass die Leute, die impfskeptisch sind, die Gefahren durch eine Krankheit eher unterschätzen und die Gefahren durch Nebenwirkungen der Impfung eher überschätzen», sagt Häusler. Die WHO schätzt, dass Impfstoffe jedes Jahr zwei bis drei Millionen Todesfälle verhindern. Die Geschichte des Impfens ist eine Erfolgsgeschichte, darin sind sich die Experten einig.