Hauchdünn ist der Kompromiss des Nationalrats zur Individualbesteuerung auch im Ständerat durchgekommen. Auf die knappstmögliche Art und Weise. Bei umstrittenen Fragen gab es mehrmals eine Pattsituation, mit 22 zu 22 Stimmen. Auch weil ein Schaffhauser Ständeratssitz vakant ist, seit das Bundesgericht die Wahl von SP-Ständerat Simon Stocker aufgehoben hat. Deshalb gab die Stimme von Ständeratspräsident Andrea Caroni (FDP/AR) gleich mehrmals den Ausschlag.
Caroni verhalf mit seinem Stichentscheid der Individualbesteuerung zum Durchbruch in den eidgenössischen Räten. Die im Bundeshaus unübliche Allianz zwischen der FDP, der SP, den Grünen und den Grünliberalen hat gehalten. Gegen die Stimmen der Mitte und der SVP. Nun bleibt noch die Hürde der Schlussabstimmung. Falls es keine Abwesenheiten oder Abweichler gibt am 20. Juni, dann ist die Individualbesteuerung in Bundesbern beschlossene Sache.
Parlament will grundlegende Steuerreform
Dass das Parlament hinter dem Prinzip der Individualbesteuerung steht, zeigt auch das doppelte Ja: National- und Ständerat haben nicht nur den Gegenvorschlag zur «Steuergerechtigkeits-Initiative» angenommen, sie haben auch die von den FDP-Frauen lancierte Volksinitiative selbst zur Annahme empfohlen, gegen den Willen des Bundesrats. Das zeigt: Das Parlament will den Systemwechsel.
Ob die grundlegendste Reform des Steuersystems seit Jahrzehnten auch an der Abstimmungsurne angenommen wird, ist aber offen. Wenn die Mehrheit in National- und Ständerat schon so knapp ausfällt, dann dürfte es auch vor dem Stimmvolk eng werden.
Die Heiratsstrafe muss weg – aber wie?
Zwar sind sich weitestgehend alle einig, dass die vom Bundesgericht schon 1984 kritisierte Heiratsstrafe abgeschafft werden soll. Über das «Wie» tobt der Streit auch nach der heutigen Einigung weiter. Die Mitte und die SVP lehnen die Individualbesteuerung ab, weil sie die Ehe als Steuergemeinschaft ablöst. Und weil sie argumentieren, dass Paare mit einem Einverdienermodell mit der Reform schlechter dastehen.
Zudem hat die Mitte eine eigene Volksinitiative im Köcher, die Initiative «Ja zu fairen Bundessteuern auch für Ehepaare». Diese Initiative verlangt eine alternative Steuerberechnung für Ehepaare: Neben der gemeinsamen Besteuerung soll auch eine zweite Steuerrechnung gemacht werden, als wären die beiden Personen unverheiratet. Weiter verlangt das Volksbegehren, dass der tiefere der beiden berechneten Steuererträge in Rechnung gestellt wird.
Der Ausgang ist offen
Zusammen mit der SVP sondiert die Mitte bereits Wege, das Referendum gegen den heute beschlossenen Gegenvorschlag zur «Steuergerechtigkeits-Initiative» zu lancieren. Der Kampf um die Abschaffung der Heiratsstrafe geht also weiter. Die Abstimmung zur Individualbesteuerung ist der nächste Anlauf für einen Systemwechsel. Ob sie durchkommt oder die Initiative der Mitte, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
An der Urne läuft es auf einen Kampf zwischen einer progressiven Lösung wie der Individualbesteuerung und einer konservativeren Lösung wie der Mitte-Initiative heraus. Die Individualbesteuerung würde einen kompletten Systemwechsel bedeuten und Anreize schaffen, dass bei Ehepaaren beide Partner erwerbstätig sind. Die Initiative der Mitte würde hingegen die Einverdiener-Ehepaare vor höheren Steuern bewahren. Der Ausgang ist offen.