Ende Jahr tritt Thomas Süssli als Chef der Armee ab. Im Gespräch zieht er Bilanz über seine sechsjährige Amtszeit und erklärt, wo die Schweiz aktuell schutzlos ist und was er persönlich bereut.
SRF News: Herr Süssli, Sie haben Ihr Amt vor sechs Jahren in einer anderen Zeit angetreten. In was für einer Welt leben wir heute?
Thomas Süssli: Für Europa ist die Lage gefährlicher geworden. Russland versucht, die Regeln zu ändern und seinen Einfluss mit hybrider Kriegsführung auszuweiten. Desinformation, Cyberangriffe, Sabotage und Spionage sind in Europa Alltag geworden.
Steht Russland auch mit der Schweiz im hybriden Krieg?
Ein Zitat, das ich gehört habe, passt gut: Wir sind nicht mehr im Frieden, wir sind aber auch noch nicht im Krieg. Das gilt auch für die Schweiz. Wir sind definitiv ein Ziel für Spionage und Cyberangriffe.
Ich übergebe eine Armee in einem Zustand, den wir vor 20 Jahren so wollten.
Als wie realistisch schätzen Sie es ein, dass aus dem hybriden Krieg ein klassischer Krieg wird?
Die Wahrscheinlichkeit ist im Moment eher gering, aber es ist nicht ganz auszuschliessen. Der Auftrag der Verteidigung besteht nach wie vor. Die wahrscheinlichste Bedrohung ist die Bedrohung aus der Distanz: durch ballistische Lenkwaffen, Drohnen oder Cyberangriffe.
Die Schweiz kann sich aktuell weder gegen Drohnen noch gegen Raketen oder Marschflugkörper verteidigen. Übergeben Sie Ihrem Nachfolger eine Armee ohne schützendes Dach?
Ja, ich übergebe eine Armee in einem Zustand, den wir vor 20 Jahren so wollten. Sie hatte den Auftrag, die Fähigkeit zur Verteidigung nur noch als Kompetenz zu erhalten. Nun müssen wir die Fähigkeiten wieder aufbauen, noch fehlt uns das Material.
Ein Gegner würde uns immer dort angreifen, wo wir am schwächsten sind.
Sie fordern eine Aufrüstung auf der ganzen Linie. Sollte die Armee angesichts knapper Finanzen nicht Prioritäten setzen und primär auf eine gute Abwehr im Luft- und Cyberraum setzen?
Wir haben immer klare Prioritäten gesetzt. Um die dringendsten Lücken zu schliessen, braucht es rund zehn Milliarden Franken.
Dazu gehört die Verteidigung gegen Bedrohungen aus der Luft, aber auch, dass unsere Infanterie wieder schützen kann, die Sanität und die Kommunikation. Letztlich muss die Armee die ganze Palette an Fähigkeiten abdecken, weil wir nicht wissen, was kommt. Ein Gegner würde uns immer dort angreifen, wo wir am schwächsten sind.
Wir müssen unseren eigenen Raum schützen – den Alpenraum, unseren Luftraum, wir sind eine Luftdrehscheibe.
Muss man nicht ehrlich sagen: Die Schweiz kann sich nicht allein verteidigen, wir sind auf Nato-Staaten angewiesen?
Die ehrliche Antwort ist: Ja. Daraus macht auch niemand ein Geheimnis. Kooperation ist im Militärischen entscheidend. Was andere Länder von uns erwarten, ist, dass wir die nötigen Anstrengungen unternehmen, um uns zumindest eine gewisse Zeit lang selbst verteidigen zu können.
Wir müssen unseren eigenen Raum schützen – den Alpenraum, unseren Luftraum, wir sind eine Luftdrehscheibe. Das ist eine wichtige Aufgabe.
Was bereuen Sie, wenn Sie auf Ihre sechsjährige Amtszeit zurückblicken?
Ich bin oft meinen Ansprüchen an mich selbst nicht gerecht geworden. So ist es mir nicht immer gelungen, die wahren Herausforderungen der Armee gut nach aussen zu kommunizieren, zum Beispiel bei der Debatte um das angebliche Finanzloch. Und vielleicht war ich manchmal zu schnell für das System. Als Chef darf man nicht allen davonrennen.
Und was machen Sie nach dem 31. Dezember?
Zuerst nehme ich eine aktive Auszeit. Ich werde reisen, ich möchte Tech-Hubs in Asien besuchen. Was danach kommt, entscheide ich erst im März. Es ist wohl das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht weiss, was als Nächstes kommt. Das geniesse ich!
Das Gespräch führte Simone Hulliger.