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Aktives Jahr in der Schweiz «Wenn die Erdbeben zu gross werden, ist der Spass vorbei»

Letztes Jahr hat es in der Schweiz doppelt so viele Erdbeben gegeben wie im langjährigen Durchschnitt. Davon profitieren zum Beispiel die Versicherer, das zeigen Recherchen von Radio SRF . Es stellt sich die Frage, ob die Erde auch 2020 wieder so oft bebt – oder sogar ein grosses Beben ansteht. Stefan Wiemer vom ETH-Erdbebendienst sagt, das liesse sich nicht voraussehen.

Stefan Wiemer

Geophysiker

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Wiemer ist Professor für Seismologie und Direktor des Erdbebendienstes an der ETH Zürich.

SRF News: Warum gab es vergangenes Jahr mehr Beben in der Schweiz?

Stefan Wiemer: Letztes Jahr war ein sehr aktives Jahr. Wir hatten mit über 1600 Beben deutlich mehr als in der Vergangenheit. Und wir hatten auch mehr spürbare Beben der Magnitude 2.5 als in den letzten 30, 40 Jahren. Wir haben uns natürlich auch gefragt: Gibt es einen Grund dafür? Aber eigentlich gibt es keinen wirklichen Grund. Es ist nicht so, dass sich die Alpen stärker bewegen oder dass irgendein anderer Zusammenhang besteht. Sondern es ist einfach so, dass wir viele kleinere Erdbebenschwärme hatten, die sehr aktiv waren, und das führt dann zu dieser Konstellation von vielen kleinen Beben.

Sind Sie als Seismologe froh, wenn es etwas mehr bebt als sonst?

Das ist eine schwierige Frage. Wir freuen uns schon, wenn wir mehr Erdbeben sehen, weil wir dann mehr über sie lernen können. Wir können Verwerfungen besser kartieren. Wir können den Untergrund, die Alpenstruktur besser verstehen. Ein Grund, weshalb wir mehr Beben verzeichnet haben, ist aber auch, weil wir mehr Stationen installiert haben. Wir haben also ein besseres Messnetzwerk. Aber es ist zweischneidig. Denn wenn die Beben zu gross werden und anfangen, Schäden zu verursachen, ist auch bei uns der Spass vorbei. Gerade wenn Leute zu Schaden kommen, ist es nicht mehr lustig.

Gab es 2019 nennenswerte Schäden durch Beben in der Schweiz?

Nein. Schäden hat es in der Schweiz eigentlich keine gegeben. Die grössten Beben waren mit der Magnitude 3.5 und 4.2 auch nicht so nah an Zentren, in denen Leute wohnen, sodass sie Schäden hätten anrichten können.

Wir müssen immer mit Beben rechnen.

Ein Beben, das Schäden auslösen kann, gibt es in der Schweiz nur alle 10 oder 15 Jahre. Wir haben nun schon eine Weile kein solches mehr gehabt. Alle 100 oder 150 Jahre gibt es bei uns auch einmal ein durchaus schlimmes Beben der Magnitude 6 oder mehr, das dann auch grössere Schäden anrichten könnte.

Kann man schon sagen, was 2020 auf uns zukommt?

Wir können nur voraussagen, dass es wieder Beben geben wird. Aber wir können nicht genau sagen, wie gross sie sind und wie viele. Erdbeben bleiben in dem Sinne nicht vorhersehbar. Und es ist auch nicht so, dass wir sagen würden, ein grosses Beben sei überfällig. Es hat eine Weile keins mehr gegeben. Aber das heisst nicht, dass wir jetzt wirklich eins erwarten. Wir müssen immer mit Beben rechnen. Es ist ein bisschen wie beim Würfeln oder beim Losziehen: Auch wenn sie beim Lotto 20 Mal nicht gewonnen haben, heisst das nicht, dass sie beim 21. Mal gewinnen werden, weil es überfällig ist, dass sie mal wieder gewinnen. Aber irgendwann gewinnt man dann doch mal.

Das Gespräch führte Charlotte Jacquemart.

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