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Ausbau erneuerbarer Energien Windpark ohne Widerstand: Andermatt zeigt, wie es gehen könnte

Die Schweiz wird ihre Ziele für den Ausbau erneuerbarer Energien wohl deutlich verfehlen. Das liegt insbesondere an den vielen Einsprachen. Der Windpark Gütsch bei Andermatt ist eine Ausnahme. Gegen ihn gab es praktisch keinen Widerstand. Anderen Ausbauprojekten könnte er damit als Vorbild dienen.

Die Stimmung ist angespannt auf dem Gütsch oberhalb von Andermatt UR. Die Monteure kontrollieren noch ein letztes Mal, ob alle Schrauben sitzen, bevor der Rotor des neuen Windrads hochgezogen und an der Turmspitze montiert wird. Der bestehende Windpark wird derzeit ausgebaut. Künftig stehen hier sieben Windräder.

Windräder werden montiert.
Legende: Der Ausbau schreitet voran: Bald drehen sich sieben Windräder auf dem Gütsch und versorgen rund 5000 Haushalte mit Strom. SRF

Viele gescheiterten Projekte

Dass Windräder überhaupt installiert werden, so wie derzeit auf dem Gütsch, ist immer noch eine Seltenheit in der Schweiz. Denn trotz breiter Zustimmung zum Ausbau der erneuerbaren Energien an der Urne gibt es häufig viele Einsprachen gegen die einzelnen Projekte. Die Folge sind Verzögerungen oder Projektabbrüche. Für Michael Frank, den Direktor des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätswerke, ein Ärgernis: «Es ist paradox und eine schwierige Situation, weil man ‹Ja› gesagt hat zur Energiewende, aber ‹Nein› zur konkreten Ausführung.»

Laut der Politologin Cloé Jans begünstigt das politische System der Schweiz den Widerstand gegen die Ausbauprojekte. «Das politische System der Schweiz kennt viele Vetopunkte, von einem Referendum auf nationaler Ebene bis hin zu Einsprachen von einzelnen Personen auf lokaler Ebene. Da braucht es zum Teil nur den Widerstand einer kleinen, gut organisierten Gruppe, mit der man sehr viel verhindern oder verzögern kann.»

Ziel wird wohl nicht erreicht

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Laut dem Stromgesetz, das im Juni 2024 an der Urne angenommen worden ist, müssen bis 2035
35 Terawattstunden Strom im Jahr aus Solar, Wind und Biomasse produziert werden. Das entspricht einer Vervierfachung gegenüber heute. Gleichzeitig soll es auch mehr und grössere Wasserkraftwerke geben. Wegen des Widerstands geht der Verband der Schweizerischen Elektrizitätswerke aber davon aus, dass dieses Ziel höchstens zu 85 Prozent erreicht werden kann.

Die Energiebranche geht davon aus, dass bis 2035 nicht so viel Strom aus den Erneuerbaren stammen wird wie geplant und das Ausbauziel damit deutlich verfehlt wird. Sie rechnet deshalb mit Unsicherheiten in der Versorgungssicherheit. «Das schlägt auf den Strompreis für die Wirtschaft und für die Gesellschaft. Zudem müssen wir zusätzliche Produktion hochfahren. Und das, was am schnellsten gebaut werden kann, werden Gaskraftwerke sein», so Frank.

Windräder werden montiert.
Legende: Ein Vorzeigeprojekt der Energiewende: Dank lokaler Beteiligung und frühzeitigem Dialog mit Umweltverbänden blieb der Widerstand aus. SRF

Auf dem Gütsch gilt es nun ernst. Langsam zieht der Kran den Rotor hoch. Nach anderthalb Stunden ist es geschafft und die Nabe mit den Rotorblättern wird an der Turmspitze befestigt. Für den Projektleiter Markus Russi ist es ein Erfolg, auch weil gegen den Windpark keine einzige Einsprache eingegangen ist. Dieses Ausbauprojekt könnte deshalb anderen als Vorbild dienen.

Gründe für Akzeptanz der Windräder auf dem Gütsch

Die Erklärung von Russi: Die Bevölkerung ist am lokalen Elektrizitätswerk und damit auch am Windpark beteiligt, aber nicht nur das. «Der Grund ist, dass auf dem Gütsch die Infrastruktur vorhanden war. Es hat Skianlagen und Militäranlagen aus der Vergangenheit. Ausserdem haben wir beim Projekt früh den Dialog mit den massgebenden Umweltverbänden gesucht. Deshalb hatten wir keine Einsprachen», so der Projektleiter des Elektrizitätswerks Ursern.

Im Herbst sollen die neuen Windräder auf dem Gütsch oberhalb von Andermatt ans Netz gehen. Alle Anlagen zusammen liefern dann Strom für knapp 5000 Haushalte. Die Schweiz kommt ihrem Ausbauziel bis 2035 damit einen kleinen Schritt näher.

Bundeshausredaktor Manuel Ramirez: «Problem ist erkannt»

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Das Parlament hat die Probleme erkannt. Es will beim Ausbau der erneuerbaren Energien vorwärtsmachen. Das hat es schon mehrfach gezeigt. So hat es zum Beispiel bereits den Solarexpress und den Windexpress beschlossen. Nur: Einen grossen Schub dürfte es erst mit dem Beschleunigungserlass geben, der in der bevorstehenden Herbstsession unter Dach und Fach gebracht werden soll. Dessen Ziel: einfachere und kürzere Bewilligungsverfahren bei den Ausbauprojekten. Der Beschleunigungserlass ist aber umstritten, da damit das Verbandsbeschwerderecht eingeschränkt werden soll. Es ist also möglich, dass das Referendum dagegen ergriffen wird und damit am Ende das Stimmvolk entscheiden muss, ob es beim Ausbau der erneuerbaren Energien mehr Tempo will.

10 vor 10, 22.8.2025, 21:50 Uhr

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