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Beizensterben auf dem Land Immer mehr Restaurants müssen Wohnungen weichen

SRF zu Besuch am Stammtisch einer Beiz in Windisch AG, die Wohnungen weichen muss. Ein Trend, sagt der Gastro-Verband.

«Der legendäre Rebstock Seengen AG schliesst für immer die Türen», «Auf ein letztes Cordon bleu nach Seebach ZH», «Terrassenhäuser statt ‹Seeblick›: Das Restaurant in Boniswil AG weicht neuen Bauten», «Fünf Restaurants in Bern BE schliessen ihre Tore»: Diese Schlagzeilen bezeichnen meist das Ende einer Ära. Wirtin Anita Graf vom Löwen in Windisch AG weiss genau, wie sich das anfühlt.

Gruppe älterer Menschen sitzt an einem Tisch in einer Kneipe.
Legende: Am Stammtisch im Löwen Windisch AG wird noch geraucht. Die Möbel erinnern an vergangene Zeiten. Im Zentrum: Wirtin Anita Graf (73). SRF/Alex Moser

Anita Graf ist 73 Jahre alt und wirtet seit 13 Jahren im Löwen in Windisch, in der Nähe von Brugg. In ihrem Restaurant gibt es noch den klassischen Stammtisch, mit brauner Möblierung, wohl aus den 70er-Jahren. Eine Dorfbeiz, wie es früher viele gab.

Zeitzeugen und aktuelle Eindrücke des Löwen in Windisch

Am Stammtisch im Löwen in Windisch wird noch geraucht. «Du kannst hier blindlings reinlaufen und triffst immer jemanden», schwärmt Stammtisch-Gast Urs Meier (51). Genau das sei ihr wichtig, dass sie ihre Gäste kenne, doppelt Wirtin Anita Graf nach.

Anita Graf erinnert sich an ihr Arbeitsleben in Wirtschaften, die Feste in der Linde, an Dorfbeizen, die boomten, an das Vereinsleben in der Beiz. Am Stammtisch gerät sie mit ihren Gästen ins Schwärmen. Die Gäste im Löwen Windisch kommen aus der ganzen Region, weil die Stammtische in den umliegenden Gemeinden zum Teil bereits verschwunden sind.

Wohnungen statt Beiz – ein Trend

Bald müssen die Stammgäste aber weiterziehen. Die Tage des Windischer Löwen sind gezählt. Er wurde an eine Immobiliengesellschaft verkauft. An seiner Stelle entstehen Wohnungen. Warum hat Anita Graf ihr Restaurant nicht selbst gekauft? «Niemals. 1.5 Millionen Franken oder was die wollten? Für ein Haus, wo die Leitungen tropfen? Keine Chance.» Ende Jahr muss Graf ihre Beiz verlassen.

Nachts beleuchtetes Restaurantgebäude mit Terrasse.
Legende: Die Tage des Löwen in Windisch sind gezählt. Hier gibt es Wohnungen in der Nähe der Aare. SRF/Alex Moser

Dass Restaurants verschwinden, sei ein Trend, bestätigt Bruno Lustenberger, Präsident des Verbands Gastro Aargau. Auch er hat einen eigenen Betrieb zugunsten einer Überbauung verkauft.

Das Phänomen gebe es vor allem auf dem Land: «Das gibt es immer wieder. Es kommt auf die Zone an, wo der Betrieb steht. Wenn er in einer Wohn- und Gewerbezone ist, muss ein Restaurant drinbleiben, sonst nicht.» Dann entstehen meist Wohnungen.

Anderes Gästeverhalten

Zwar lebe die Stammtischkultur auf dem Land noch. Aber auch dort gerate sie unter Druck, sagt der Gastro-Fachmann: «Das Verhalten der Leute ist anders. Früher sind viele Industriemitarbeiter nach der Arbeit auf ein Bier ins Restaurant. Heute hat sich das mit der Dienstleistung komplett verändert», so Bruno Lustenberger von Gastro Aargau.

Ich brauche meine Gäste. Vor der Schliessung habe ich etwas Panik.
Autor: Anita Graf Wirtin im Löwen Windisch AG, 73 Jahre alt

Stammtische seien für Wirtinnen und Wirte zudem nicht sonderlich lukrativ. «Es gibt unterdessen mehr Gastro-Betriebe in den Städten, weniger auf dem Land. Die Leute gehen noch auswärts essen, aber kürzer, nicht mehr den ganzen Abend», beobachtet Lustenberger die Gastro-Entwicklung.

Im Löwen Windisch wird, solange es noch geht, zusammengesessen. «Jetzt habe ich 13 Jahre im Löwen gearbeitet, 13 Jahre in der Linde, 13 Jahre in der Braui, vorher im Service im Reusstal, in der Kurve Niederlenz – war das eine schöne Zeit. Ich brauche meine Gäste. Vor der Schliessung habe ich etwas Panik», sagt die 73-jährige Wirtin Anita Graf.

Frau sitzt in Raum, gemaltes Schweinebild im Vordergrund.
Legende: Anita Graf am Stammtisch ihrer Beiz. Die Wirtin hat ihr ganzes Arbeitsleben in der Gastronomie verbracht. Nun wird es wohl ruhiger. SRF/Alex Moser

Sie überlegt sich, im Frühling 2026 für ihre Gäste ein Zelt in ihrem Garten aufzustellen – mit bescheidener Speisekarte, dafür mit ausgedehnten Stammtisch-Zeiten. Fast so wie früher, im Löwen, in der Braui oder in der Linde.

Wo gibts schweizweit weniger Beizen?

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«Die Gastronomiedichte nahm zwischen 2011 und 2022 in der Ostschweiz, der Zentralschweiz und im Tessin am stärksten ab», heisst es beim Verband Gastro Suisse auf Anfrage von SRF. Dabei würden Schliessungen in einwohnerschwachen Gegenden stärker wahrgenommen, weil sie sich stärker auf das Dorfleben und das lokale Gewerbe auswirken. Auch hier wird das veränderte Gästeverhalten und die Mobilität als Gründe für den Rückgang genannt.

Schweizweit betrachtet sei die Anzahl gastgewerblicher Betriebe stabil.

Echo der Zeit, 19.9.2025, 18 Uhr; buec;ledn:weds

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