«Der legendäre Rebstock Seengen AG schliesst für immer die Türen», «Auf ein letztes Cordon bleu nach Seebach ZH», «Terrassenhäuser statt ‹Seeblick›: Das Restaurant in Boniswil AG weicht neuen Bauten», «Fünf Restaurants in Bern BE schliessen ihre Tore»: Diese Schlagzeilen bezeichnen meist das Ende einer Ära. Wirtin Anita Graf vom Löwen in Windisch AG weiss genau, wie sich das anfühlt.
Anita Graf ist 73 Jahre alt und wirtet seit 13 Jahren im Löwen in Windisch, in der Nähe von Brugg. In ihrem Restaurant gibt es noch den klassischen Stammtisch, mit brauner Möblierung, wohl aus den 70er-Jahren. Eine Dorfbeiz, wie es früher viele gab.
Zeitzeugen und aktuelle Eindrücke des Löwen in Windisch
-
Bild 1 von 4. Der Löwen in Windisch und Abendgäste im September 2025. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
-
Bild 2 von 4. Die Speisekarte ist übersichtlich. Im Löwen geht es vor allem ums Zusammensitzen, sagen die Gäste. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
-
Bild 3 von 4. Sprüche und Hinweise im Restaurant weisen auf vergangene Zeiten hin. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
-
Bild 4 von 4. Die Leitungen im Haus seien nicht mehr gut, sagt Wirtin Anita Graf. Das Gasthaus würde viel Investitionen benötigen. Nun weicht es Wohnungen. Bildquelle: SRF/Alex Moser.
Am Stammtisch im Löwen in Windisch wird noch geraucht. «Du kannst hier blindlings reinlaufen und triffst immer jemanden», schwärmt Stammtisch-Gast Urs Meier (51). Genau das sei ihr wichtig, dass sie ihre Gäste kenne, doppelt Wirtin Anita Graf nach.
Anita Graf erinnert sich an ihr Arbeitsleben in Wirtschaften, die Feste in der Linde, an Dorfbeizen, die boomten, an das Vereinsleben in der Beiz. Am Stammtisch gerät sie mit ihren Gästen ins Schwärmen. Die Gäste im Löwen Windisch kommen aus der ganzen Region, weil die Stammtische in den umliegenden Gemeinden zum Teil bereits verschwunden sind.
Wohnungen statt Beiz – ein Trend
Bald müssen die Stammgäste aber weiterziehen. Die Tage des Windischer Löwen sind gezählt. Er wurde an eine Immobiliengesellschaft verkauft. An seiner Stelle entstehen Wohnungen. Warum hat Anita Graf ihr Restaurant nicht selbst gekauft? «Niemals. 1.5 Millionen Franken oder was die wollten? Für ein Haus, wo die Leitungen tropfen? Keine Chance.» Ende Jahr muss Graf ihre Beiz verlassen.
Dass Restaurants verschwinden, sei ein Trend, bestätigt Bruno Lustenberger, Präsident des Verbands Gastro Aargau. Auch er hat einen eigenen Betrieb zugunsten einer Überbauung verkauft.
Das Phänomen gebe es vor allem auf dem Land: «Das gibt es immer wieder. Es kommt auf die Zone an, wo der Betrieb steht. Wenn er in einer Wohn- und Gewerbezone ist, muss ein Restaurant drinbleiben, sonst nicht.» Dann entstehen meist Wohnungen.
Anderes Gästeverhalten
Zwar lebe die Stammtischkultur auf dem Land noch. Aber auch dort gerate sie unter Druck, sagt der Gastro-Fachmann: «Das Verhalten der Leute ist anders. Früher sind viele Industriemitarbeiter nach der Arbeit auf ein Bier ins Restaurant. Heute hat sich das mit der Dienstleistung komplett verändert», so Bruno Lustenberger von Gastro Aargau.
Ich brauche meine Gäste. Vor der Schliessung habe ich etwas Panik.
Stammtische seien für Wirtinnen und Wirte zudem nicht sonderlich lukrativ. «Es gibt unterdessen mehr Gastro-Betriebe in den Städten, weniger auf dem Land. Die Leute gehen noch auswärts essen, aber kürzer, nicht mehr den ganzen Abend», beobachtet Lustenberger die Gastro-Entwicklung.
Im Löwen Windisch wird, solange es noch geht, zusammengesessen. «Jetzt habe ich 13 Jahre im Löwen gearbeitet, 13 Jahre in der Linde, 13 Jahre in der Braui, vorher im Service im Reusstal, in der Kurve Niederlenz – war das eine schöne Zeit. Ich brauche meine Gäste. Vor der Schliessung habe ich etwas Panik», sagt die 73-jährige Wirtin Anita Graf.
Sie überlegt sich, im Frühling 2026 für ihre Gäste ein Zelt in ihrem Garten aufzustellen – mit bescheidener Speisekarte, dafür mit ausgedehnten Stammtisch-Zeiten. Fast so wie früher, im Löwen, in der Braui oder in der Linde.