Am Abend des 29. April spielt sich am Walliser Pigne d’Arolla ein Drama ab. 14 Menschen geraten auf über 3000 Metern Höhe in einen heftigen Wintersturm. Die gefühlten Temperaturen fallen auf Minus 20 Grad.
Verzweifelt suchen die Tourengänger Schutz vor der beissenden Kälte, verschanzen sich hinter einer Felswand und warten. Die rettende Berghütte ist nur 500 Meter entfernt, doch im dichten Schneegestöber ist jede Orientierung unmöglich.
Die traurige Bilanz: Für sieben Menschen kommt jede Hilfe zu spät, sie sterben an Unterkühlung.
In der NZZ am Sonntag schildert ein Überlebender eindringlich, wie die Tourengänger eine Nacht lang ums nackte Überleben kämpften – und er kritisiert den Bergführer: Der Italiener, der von Chiasso aus operierte, sei komplett verloren gewesen, als das Wetter umgeschlagen habe.
Ausserdem kritisiert der Überlebende, dass der Bergführer kein GPS-Gerät dabeigehabt habe. Auch sein Satellitentelefon habe nicht funktioniert. Die Walliser Staatsanwaltschaft klärt derzeit ob, ob der italienische Bergführer, der selber am Berg starb, fahrlässig gehandelt hat.
Ungeachtet der Ermittlungsergebnisse stellt sich die Frage: Welche Vorgaben gibt es für Bergführer, die in den Schweizer Alpen mit Tourengängern unterwegs sind? Fixe Vorschriften gebe es nicht, sagt Marco Mehli, Präsident des Schweizer Bergführerverbands: «Es liegt in der Verantwortung des Bergführers, was er mitnimmt.»
Wer kein GPS-Gerät mit sich führt, begeht keinen Kunstfehler.
Allerdings gebe es einen «üblichen Gebrauch, und wenn man da nicht das Richtige dabei haben sollte, ist das ein Kunstfehler». Und diese gehen quasi mit der Zeit: «Vor dreissig Jahren wäre es sicher kein Kunstfehler gewesen, wenn man keine Lawinenverschüttetengeräte, keine Schaufel und keine Sonde dabei gehabt hätte.»
Heute sei das aber auch ohne entsprechende Vorschriften eine Nachlässigkeit, sagt Mehli: «Ein umsichtiger Bergführer hat die nötigen Sachen dabei.» Das werde auch in der Ausbildung so gelehrt.
Mehli kannte den verunglückten Bergführer persönlich. Gegenüber «Schweiz aktuell» bezeichnete er den 59-Jährigen letzte Woche als sehr erfahren und gut qualifiziert. Nun äussert sich der Präsident des Schweizer Bergführerverbands auch zu den konkreten Vorwürfen, die der italienische Überlebende dem Bergführer macht.
Hätte der Bergführer ein GPS-Gerät mitnehmen müssen? Die technologische Entwicklung schreite schnell voran und viele Guides nutzten die GPS-Geräte zur Orientierung am Berg bereits. «Wer aber kein GPS-Gerät mit dabei hat, begeht keinen Kunstfehler», sagt Mehli. Noch vor fünf Jahren seien die Geräte kaum verbreitet gewesen.
Hätte es eine Anmeldung in der Berghütte gebraucht? Eine solche Anmeldung sei zweifellos sehr wichtig, sagt Mehli. Denn nur so der könne der Hüttenwart bei Nichterscheinen einer Tourengruppe nachfragen und allenfalls eine Rettung einleiten. Schliesslich könne es auch sein, dass eine Hütte schlichtweg ausgebucht sei, wenn eine grössere Gruppe vorbeikomme.
Hat der Bergführer das Risiko unterschätzt? Zunächst hätte sich an der Situation nicht gross etwas geändert, wenn der Bergführer mit einer kleineren Gruppe unterwegs gewesen wäre, glaubt Mehli: Auch eine solche Gruppe hätte beim Wetterumsturz die Orientierung verloren. Und: In den Bergen gebe es immer ein Restrisiko: «Der Bergführer ist ausgebildet, dieses möglichst zu senken. Aber ein Nullrisiko gibt es nicht.»
Abschliessend spricht sich Mehli dagegen aus, nach dem Bergdrama im Wallis neue Regeln für Bergführer einzuführen: «Ich sehe keinen Weg, wie man das mit Gesetzen verbindlich eingrenzen könne.»