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Bettelverbot Nach hitziger Debatte: St.Gallen lockert Bettelverbot

Weil das Bettelverbot gegen Menschenrechte verstossen hat, musste St.Gallen das Polizeireglement anpassen.

In vielen Städten gehören sie zum täglichen Stadtbild dazu: Die Bettlerinnen und Bettler, die im Bahnhof oder auf belebten Plätzen unterwegs sind. Einige knien am Boden und strecken hoffnungsvoll die Hände aus, andere gehen auf und ab und sprechen Passantinnen und Passanten direkt an: «Häsch mer no än Stutz?»

Nach Gerichtsurteil geriet Bettelverbot ins Wanken

In St.Gallen war das bisher ein eher seltener Anblick. In der Stadt gilt ein rigoroses Bettelverbot. Ein solches Verbot gab auch in anderen Schweizer Städten und Kantonen, zum Beispiel im Kanton Basel-Stadt, Genf oder Waadt. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Jahr 2021 geriet das Bettelverbot jedoch ins Wanken. Das Gericht urteilte, dass ein solches Verbot gegen die Menschenrechtskonvention verstösst.

Urteil zum Bettelverbot in Genf

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Eine 28-jährige Bettlerin aus Genf erhielt mehrere Bussen, weil sie trotz Verbot gebettelt hatte. Da sie die Bussen nicht bezahlten konnte, musste sie für fünf Tage ins Gefängnis.

Gegen das Vorgehen wehrte sich die Frau bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Das Gericht gab ihr in seinem Urteil 2021 einstimmig recht und sprach ihr eine symbolische Entschädigung zu.

Die Schweiz habe mit den Bussen und der Haft gegen Artikel 8 der Menschenrechtskonvention verstossen. Im Artikel geht es um den Respekt des Privat- und Familienlebens. Aus Sicht der Strassburger Richter müsse es Menschen in finanzieller Notlage erlaubt sein, öffentlich auf ihre Situation aufmerksam zu machen und um Almosen zu bitten.

Aufgrund des Urteils hat die Stadtpolizei in St.Gallen bereits letztes Jahr reagiert und ihre Praxis angepasst, wie es auf Anfrage heisst. Während in den Vorjahren bis zu 60 Personen weggewiesen und etwas gleich viele gebüsst wurden, waren es 2023 noch 28 Wegweisungen und rund 20 Bussen.

Knapper Entscheid im St.Galler Stadtrat

Diese Woche diskutierte nun das St.Galler Stadtparlament über ein neues Polizeireglement. Die Diskussion war hitzig und endete in einem hauchdünnen Entscheid: Mit 30 Ja- zu 28 Nein-Stimmen stellte sich das Stadtparlament hinter den Antrag des Stadtrats.

Betteln ist demnach künftig mit Einschränkungen erlaubt. Unter anderem ist organisiertes Betteln weiterhin verboten. Ausserdem müssen Bettelnde fünf Meter Abstand halten zu Eingängen von Bahnhöfen, zu Bushaltestellen, Einkaufsläden oder Hotels und Restaurants. Ebenfalls ist es untersagt in öffentlichen Gärten, auf Märkten oder in Unterführungen zu betteln.

Kritik an neuer Regelung von Links

Links-Grün kritisiert das neue Polizeireglement: Es sei ein Hohn für Menschen in Not. «Faktisch bleibt das Verbot bestehen», findet Gallus Hufenus von der SP. Die Stadtregierung habe lediglich dafür gesorgt, dass das Polizeireglement mit dem Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte zu vereinbaren ist. «Der Stadtrat hat jetzt ein Schlupfloch gefunden, um das Bettelverbot aufrechtzuerhalten.»

Die Bürgerlichen hingegen sind zufrieden mit dem Ergebnis. Vor allem, dass das bandenmässige Betteln weiterhin untersagt ist, begrüsst Jürg Brunner von der SVP. «Zum Teil sind diese Leute sehr aufdringlich und aggressiv und darum ist die Lösung gut so.»

Basel-Stadt dient als Vorbild

Bei der Ausarbeitung des neuen Reglements hat sich der St.Galler Stadtrat am Kanton Basel-Stadt orientiert. Basel-Stadt hatte das Bettelverbot im Sommer 2020 kurzzeitig aufgehoben. Daraufhin zog es viele Bettelnde nach Basel. Laut Behörden waren bis zu 150 Roma-Bettlerinnen und Bettler in der Stadt aktiv. Häufig traten sie aggressiv und aufdringlich auf.

Eine Polizistin und ein Mann mit Rucksack und Iso-Matte laufen Richtung Bahnhof.
Legende: Die Polizei im Kanton Basel-Stadt geht wieder strikter gegen Bettlerinnen und Bettler vor. Jene aus dem EU-Raum können mit einem Einreise-Verbot belegt werden. SRF/Martina Inglin

Als Reaktion führte Basel-Stadt nur ein Jahr später ein strenges Polizeireglement ein, das Betteln grösstenteils wieder verbietet. Wie in St.Gallen gelten auch dort die Fünf-Meter-Regel und andere Tabubereiche. Das Bundesgericht stützte in einem Urteil Ende 2023 mehrheitlich die geltenden Vorschriften in Basel-Stadt.

Jedoch hob das Bundesgericht das geltende Bettelverbot in öffentlichen Parks wieder auf. Ausserdem dürfen Bussen gegen bettelnde Menschen nur dann ausgesprochen werden, wenn mildere Massnahmen wie Wegweisungen erfolglos geblieben sind.

Regionaljournal Ostschweiz, 22.5.24, 06:30 Uhr ; 

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