Aus vielen Studien weiss man, dass die Gefahr eines schweren Verlaufs bei einer Covid-Erkrankung mit dem Alter zunimmt. Daher wurden zunächst auch die älteren Personen, danach die Risikogruppen und die im Gesundheitswesen Tätigen geimpft.
Es müssen alle eine faire Chance erhalten, sich möglichst bald impfen zu lassen, wenn sie möchten.
Innerhalb der Gruppe der gesunden 16- bis 50-Jährigen scheint die Risikoverteilung nun aber etwa gleich zu sein. Barbara Bleisch, Philosophin und Moderatorin für die SRF-Sendung Sternstunde Philosophie, ist daher der Meinung, es wäre nicht mehr gerecht, in dieser Gruppe nach Alter zu priorisieren. «Vielmehr müssen nun eben alle eine faire Chance erhalten, sich möglichst bald impfen zu lassen, wenn sie möchten.»
Umstrittenes «first come, first served»
Nicht immer funktioniert aber das Prinzip «first come, first served». So wurden kürzlich in Zürich morgens um 8 Uhr Impftermine für Menschen ab 16 Jahren freigeschaltet – ohne Ankündigung. Das sorgte für Kritik.
Denn für viele Menschen war das nicht gerecht. Wer rasch Internetzugang hatte und sich von der Arbeit oder Schule ausklinken konnte, kam zum Zug.
Davon ausgeschlossen waren dagegen beispielsweise Menschen, die nicht im Homeoffice arbeiten: Coiffeure, Detailhandelsangestellte oder Betreuerinnen. Also diejenigen, die während der Pandemie vermehrt grösseren Risiken ausgesetzt waren und sind.
Privilegierte sind weiter bevorteilt
Das Gerechtigkeitsprinzip ist immer an eine Vorbedingung verknüpft: die frühzeitige Bekanntgabe des Starttermins. Ein Beispiel sind die Vorverkäufe bei Konzerttickets, wo der Beginn des Vorverkaufs bekannt ist. «Wer dann unbedingt eine Karte will, kann Freunde bitten, anzurufen. Das war eben genau nicht möglich im Fall der Impftermine», so Bleisch.
In gewissen Kantonen haben laut Bleisch also Privilegierte einen Vorteil beim Impfen. Das sei aber Jammern auf hohem Niveau. Immerhin haben wir in der Schweiz Impfstoffe, im Gegensatz zu anderen Ländern. Dennoch müsse man, sagt Bleisch, bei der Verteilung von knappen Gütern, die von so grosser Bedeutung wie dieser Impfstoff sind, fair verfahren.
Losverfahren für Impftermine
Ein Los könnte in solch einer Situation gerechter entscheiden, findet die Philosophin. Man könnte alle Impfwilligen zur Registrierung auffordern und die Plätze mit einer Art Zufallsgenerator verlosen. Das könnte allenfalls auch den sogenannten Impfneid schmälern.
Bleisch verweist auf den amerikanischen Philosophen John Rawls: Der hat irrationalen von rationalem Neid unterschieden. Irrationaler Neid oder unvernünftiger Neid bezieht sich auf Dinge, die sich dem Zufall oder gerechtem Verdienst verdanken – Also z. B. Neid auf auf die Intelligenz oder Schönheit anderer oder auf die Beförderung meiner fleissigen Kollegin, die das verdient hat. «Wenn nun jemand früher geimpft wird, weil er einfach nur das Glück hatte, ausgelost zu werden, dann ist mein Neid eben unvernünftig», sagt Bleisch.
Wenn jemand früher geimpft wird, weil er einfach das Glück hatte, ausgelost zu werden, ist mein Neid eben unvernünftig.
Aber Neid könne eben auch rational sein: Nämlich dann, wenn er das Resultat von unfairen Verteilprozessen ist. «Das heisst eben, dass der Impfneid durch ungerechte Zuteilung der Termine umso grösser werden wird.» Und das sei für die Gesellschaft bestimmt keine gute Nachricht.