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Deliktserie im Baselbiet Jugendanwalt: «Aktuell gibt es so viele Verhaftungen wie selten»

Die Baselbieter Jugendanwaltschaft ist am Anschlag. Vor allem jugendliche Asylsuchende aus Maghreb-Staaten sind kriminell. Auf der Flucht haben viele Schlimmes erlebt.

Auf dem Pult von Lukas Baumgartner bleibt viel Arbeit liegen. Der stellvertretende Leiter der Baselbieter Jugendanwaltschaft ist derzeit nämlich mit besonders vielen Jugendlichen beschäftigt, die in Haft genommen werden.

«Diese Woche waren es acht oder neun», sagt er beim Gespräch Anfang März. «Das sind so viele wie früher in einem ganzen Jahr.» Die Jugendlichen hätten Autos aufgebrochen oder seien in Wohnungen eingebrochen.

Schweizweite Diebstahl-Serie

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Eine starke Zunahme von kriminellen Taten wird in der ganzen Schweiz verzeichnet, heisst es auf Anfrage von der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren. Besonders rund um Asylzentren hätten Diebstähle, Einbrüche, aber auch Belästigungen zugenommen. Die Taten würden in vielen Fällen von jungen Männern aus Maghreb-Staaten verübt.

Schweizweite Zahlen gibt es dazu noch keine. Die Kriminalstatistik für das Jahr 2023 soll noch im März erscheinen.

Einzelne Kantone verzeichnen massive Steigerung

Einzelne Kantone haben bereits Zahlen veröffentlicht. So verzeichnet etwa die Thurgauer Kantonspolizei eine massive Zunahme von Diebstählen aus unverschlossenen und verschlossenen Fahrzeugen. «Wir haben dieses Jahr schon über 1000 Fälle. Bei 250 Delikten konnten wir die Täterschaft ermitteln, bei 90 Prozent der Täter handelt es sich um Männer aus Nordafrika», sagt Matthias Graf, Sprecher der Kantonspolizei Thurgau.

Eine ähnliche Entwicklung beobachtet die Aargauer Kantonspolizei. Im laufenden Jahr seien bereits 1400 Diebstähle aus Autos gezählt worden. Das sei eine Verdreifachung in nur zwei Jahren, sagt Corina Winkler, Leiterin Kommunikation der Kantonspolizei Aargau.

Die Aufklärungsquote liege bei 25 Prozent. «Bei den Fällen, bei denen wir die Täter kennen, haben wir klare Hinweise darauf, dass es sich vor allem um junge Männer aus Maghreb-Staaten handelt, die oftmals einen negativen Asylentscheid haben», sagt Winkler.

13 Prozent aller Asylgesuche aus Maghreb-Staaten

Im Jahr 2023 haben rund 3500 Personen aus den Maghreb-Staaten – sprich Algerien, Tunesien und Marokko – in der Schweiz Asyl beantragt. Das sind 13 Prozent aller Asylgesuche. Eine Aufenthaltsbewilligung erhalten in der Regel aber weniger als zwei Prozent.

Die Täter seien unbegleitete minderjährige Asylsuchende, sogenannte UMA. Es handelt sich also um junge Menschen, die ohne ihre Eltern auf der Flucht sind. «Viele kommen aus Algerien und Marokko», so Baumgartner.

Manche dieser UMA seien schon seit Jahren auf der Flucht. Sie hätten teils mehrere Papiere mit verschiedenen Identitäten. Wie alt die betreffenden Personen tatsächlich sind, sei deshalb oft nicht klar.

Das sind Erlebnisse, die den Charakter dieser Menschen prägen.
Autor: Lukas Baumgartner Stellvertretender Leiter Baselbieter Jugendanwaltschaft

Hinter den Menschen und ihren Delikten stünden oft dramatische Geschichten, erzählt der Jugendanwalt. Solche von Halbwaisen beispielsweise, die nach Europa kämen, um Geld zu verdienen. Sie müssten damit ihre Familie im Heimatland ernähren.

Typ sitzt auf Bett und schaut auf das Handy. man sieht seinen Kopf nicht.
Legende: Bis die Minderjährigen in der Schweiz ankommen, haben viele von ihnen traumatische Situationen erlebt. Viele wurden auf der Flucht misshandelt. KEYSTONE/Gian Ehrenzeller

Auf der Flucht seien die Jugendlichen oft «schwersten Misshandlungen» ausgesetzt. Viele seien Opfer von Sexualstraftaten.

«Wir hören auch Geschichten über den Kampf um eine Schwimmweste, bevor sie auf ein Fluchtboot steigen», erzählt Baumgartner. «Das sind Erlebnisse, die den Charakter dieser Menschen prägen.»

UMA leben nicht mit Familien

Ihre traumatischen Erlebnisse versuchten viele dieser jungen Männer und Buben zu vergessen – mit Medikamenten und Drogen. Viele nähmen Beruhigungsmittel zu sich, zum Teil in Kombination mit einem Antiepileptikum oder Cannabis.

Auf Entzug im Gefängnis

Die Delikte von UMA seien oft Beschaffungskriminalität, sagt Baumgartner. Dafür müssten sie bestraft werden, bis hin zu Freiheitsstrafen. Das sei für die Betroffenen nicht nur schlecht, glaubt er. Im Gefängnis bekämen sie keine Drogen, seien also auf Entzug: «Haft kann für sie auch eine Art Neustart sein.»

Darf man Minderjährige einsperren?

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Hand schliesst etwas ab.
Legende: Jugendliche müssen im Gefängnis von Erwachsenen getrennt sein. Keystone/Ennio Leanza

Ja, das ist in der Schweiz möglich. Für Jugendliche zwischen 10 und 18 Jahren gilt das Jugendstrafrecht. Dieses stellt allerdings nicht die Strafe, sondern den Schutz der Jugendlichen und die Verhinderung weiterer Straftaten in den Vordergrund.

Dennoch sind Kinder bereits ab 10 Jahren strafmündig, können also von der Justiz zur Rechenschaft gezogen werden. Freiheitsstrafen sind ab 15 Jahren möglich.

Im Bundesgesetz über das Jugendstrafrecht steht zu Haftstrafen:

  • Der Jugendliche , der nach Vollendung des 15. Altersjahres ein Verbrechen oder ein Vergehen begangen hat, kann mit Freiheitsentzug von einem Tag bis zu einem Jahr bestraft werden.
  • Der Jugendliche, der zur Zeit der Tat das 16. Altersjahr vollendet hat, kann mit Freiheitsentzug bis zu vier Jahren bestraft werden.

Baumgartner legt Wert auf die Anmerkung, dass die meisten UMA nicht straffällig werden, auch nicht in Baselland. Warum er derzeit besonders viel mit Delikten zu tun hat, die von UMA begangen wurden, weiss er nicht.

Leben im Bunker

Ideen hat Lukas Baumgartner dennoch. Beispielsweise wünscht er sich, dass schneller abgeklärt wird, ob es sich bei den Delinquenten tatsächlich um Minderjährige handelt. Möglicherweise würde seine Behörde so entlastet.

Die Unterbringung dieser Menschen und auch deren Perspektiven sind Themen, die man anschauen muss.
Autor: Lukas Baumgartner Stellvertretender Leiter Baselbieter Jugendanwaltschaft

Schnellverfahren, wie sie Bundesrat Beat Jans angekündigt hat, seien keine Lösung: Viele der Jugendlichen, mit denen er zu tun habe, wüssten sowieso, dass sie kaum Chancen auf Asyl hätten.

Handlungsbedarf sieht er aber bei der Unterbringung. So seien die Asylsuchenden beispielsweise in Aesch (BL) in einem Bunker unter der Erde untergebracht.

Wer bis dahin keine Medikamente nehme und nie gestohlen habe, könne unter solch schlechten Lebensumständen schnell zu einem Delinquenten werden, ist Baumgartner überzeugt: «Die Unterbringung dieser Menschen und auch deren Perspektiven sind Themen, die man anschauen muss.»

Regionaljournal Basel, 29.02.2024, 17:30 Uhr ; 

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