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Demonstration in Bern Kriminalexperte: «Corona-Demo wird zu einem Krawallevent»

Die Demonstrationen in Bern hätten eine neue Stufe erreicht, die zu einem Krawall-Tourismus führten, so der Experte.

Die Corona-Demonstrationen am Donnerstagabend sind in Bern mittlerweile schon fast zur Tradition geworden. Dabei sei ein Konflikt entstanden, der eine neue Stufe erreicht hat, sagt der Kriminalexperte Dirk Baier: «Man hat bereits letzten Donnerstag gesehen, dass mehr Aggressivität im Spiel ist, mehr Gewaltbereitschaft. Es sind auch mehr junge, alkoholisierte Männer dabei», sagt der Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW: Es werde eine andere Klientel angezogen. «Da schaukelt sich scheinbar etwas hoch.»

Video zeigt Gewalt der Polizei

Rund 500 Gegnerinnen und Gegner der Corona-Massnahmen waren an der unbewilligten Demonstration vom vergangenen Donnerstagabend in der Stadt Bern beteiligt. Die Polizei war mit einem Grossaufgebot präsent und setzte Gummischrot und Wasserwerfer ein. Demonstrierende hätten wiederholt Polizeisperren missachtet, schreibt die Polizei. Rund 80 Wegweisungen wurden ausgesprochen, vier Personen müssen mit einer Anzeige rechnen. Bei einer Anhaltung wurde ein Polizist verletzt.

Es ging darum, die Situation so rasch als möglich unter Kontrolle zu bringen.
Autor: Christoph Gnägi Sprecher Kantonspolizei Bern

Nach der Demonstration steht eine Situation im Fokus, in der die Einsatzkräfte einen Demonstrierenden schlagen. Das Berner Lokalmedium «Live1» hat die Szenen gefilmt und auf Twitter veröffentlicht. Sie zeigen, wie mehrere Einsatzkräfte einen Mann zu Boden drücken, einer schlägt mit Fäusten auf ihn ein.

Die Polizei verteidigt sich: «Dieser Mann ist unaufhaltsam auf die Polizeikette losgelaufen», sagt Mediensprecher Christoph Gnägi. Man habe seine Absicht nicht erkennen können und er habe sich gewehrt: «Es ging darum, die Situation so rasch als möglich unter Kontrolle zu bringen. So musste man mit einer ausgebildeten Technik Schmerzreize setzen, um seine Muskelanspannung zu lösen.»

Solche Bilder seien selten

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Die Videobilder zur Anhaltung eines Demonstrierenden seien untypische Bilder für die Schweiz, sagt Kriminalexperte Dirk Baier. An 1.-Mai-Demonstrationen oder an Sportveranstaltungen kenne man solche Situationen aber bereits. «Es passiert selten, ist aber nicht völlig neu.»

Die Polizei sei auch darauf trainiert, solchen Situationen zu begegnen. Er kennt die Vorgeschichte nicht und möchte darum kein Urteil zu der Situation abgeben. «Wenn man sich vorstellt, dass eine Person, die auf einen zugeht, auch eine Waffe haben kann, wenn sie ihre Hände versteckt, dann kann man sich aber ein Stück weit in die Polizei hineinversetzen», so Baier.

«Ich habe den Eindruck, dass die Polizei ein Stück weit die Geduld verloren hat», schätzt Kriminalexperte Dirk Baier ein. Sie schreite schneller ein und lasse die Demonstrierenden nicht mehr an der langen Leine. «Das produziert solche Bilder, über die wir jetzt reden.» Und dies ziehe erneut gewaltbereite Personen an, die nächste Woche nach Bern kommen könnten. «Das ist das Gefährliche an der Sache.»

Die Politik bestimmt das Vorgehen der Polizei. So hat der Sicherheitsdirektor der Stadt Bern deutlich gemacht, dass man die Demonstrierenden nicht vor dem Bundeshaus dulde. Das versucht die Polizei nun zu verhindern – mit Absperrungen oder Abhaltungen. Das provoziere aber solche Videos. «Die Polizei wird nun so dargestellt, als würde sie übermässig Gewalt anwenden», so Baier.

Kritik am Einsatz der Polizei

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«Das sieht sehr unverhältnismässig aus», sagt Michael Christen, Geschäftsleiter der Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern, zum erwähnten Video. Er kenne nicht den ganzen Kontext des Geschehens, aber die Verhältnismässigkeitsprüfung sehe vor, dass man immer das mildeste Mittel anwende. «Hier bin ich der Meinung, dass es sicher mildere Mittel gegeben hätte, als was man auf dem Video sieht.» Sie würden nun intern besprechen, ob sie aktiv werden.

Sprecher Christoph Gnägi verteidigt die Polizei: Jede Einsatzkraft entscheide aus der Situation heraus, welche Mittel sie einsetzen würden. Es gehe aber darum, die Situation so rasch als möglich zu beruhigen und unter Kontrolle zu bringen, «damit das Verletzungsrisiko für alle Beteiligten möglichst klein gehalten wird.»

Mittlerweile sei bei diesen Demonstrationen Erlebnis-Gewalt entstanden, die Corona-Demo werde zu einem Krawallevent. Junge Leute wüssten, sie könnten sich mit der Polizei anlegen. «Das sind nicht mehr nur Corona-Skeptiker, sondern Corona-Hooligans», sagt Baier. Diese Spirale müsse unterbrochen werden. Auch, wenn es sich dabei nur um eine Minderheit handelt und die Mehrheit friedlich demonstriert.

Weiterhin mit Demonstrationen rechnen

Einerseits müsse man dazu im Vorfeld schauen, dass die Anreisewege dieser «Krawall-Touristen» unterbunden werden. «Andererseits sollte die Polizei wieder etwas deeskalativer auftreten», sagt Baier. Erst bei einem Angriff auf das Bundeshaus eingreifen.

Die Demonstrationen würden wohl noch ein paar Wochen weitergehen. Er sei aber optimistisch, dass die Schweiz die Pandemie bald in den Griff bekomme: «Damit geht der ganzen Bewegung der Feind verloren.» Bis Ende des Jahres sei der Spuk vorbei, so Baier.

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Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 08.10.2021, 06:31 Uhr ; 

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