«Die Fallzahlen steigen!» – «Es ist wichtig, die Fallzahlen tief zu halten.» – «Die aktuellen Fallzahlen erlauben keine raschen Öffnungsschritte.» Das sind oft gehörte Aussagen von Politikerinnen und Experten im Kampf gegen die Pandemie.
Bislang sind die Anzahl Neuinfektionen mit Covid-19 ein entscheidender Wert, wenn es um Verschärfungen oder Lockerungen der Pandemie-Massnahmen geht.
Impfungen scheinen zu wirken
Die Infektiologin Valérie D’Acremont ist aber der Ansicht, dass die Fallzahlen weniger stark gewichtet werden sollten. Die Forscherin von Unisanté, dem Universitätszentrum für Allgemeinmedizin und öffentliche Gesundheit in Lausanne, hat untersucht, wie sich das Virus in der Romandie ausbreitet.
Im aktuellen Stadium der Epidemie, in dem die gebrechlichen und älteren Menschen geimpft werden, sei die Zahl der Fälle nicht mehr entscheidend: «Wichtig ist die Anzahl der Spitaleinweisungen, die Zahl der Todesfälle und die Zahl der Betroffenen in Alters- und Pflegeheimen. Und da sehen wir zum Beispiel im Kanton Waadt bereits einen deutlichen Rückgang der Fälle und Todesfälle dank der Impfung in den Altersheimen», sagt D’Acremont.
Schweizweit sind die Ansteckungszahlen bei den über 80-Jährigen tatsächlich deutlich gesunken: von 433.9 Neuinfektionen pro 100'000 Einwohner in der letzten Woche im Dezember 2020 auf aktuell 52.3 Neuinfektionen. Die Impfungen scheinen bei den Älteren zu wirken.
Fallzahlen bleiben wichtig
Für Huldrych Günthard, Infektiologe und leitender Arzt am Universitätsspital Zürich, ist dies aber noch kein Grund, die Ansteckungszahlen als weniger wichtig zu betrachten.
«Bis wir nicht 50 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft haben, insbesondere auch die über 60-Jährigen und diejenigen, die zusätzliche Risikofaktoren haben, bleiben für mich die Fallzahlen relevant.»
Strategiewechsel möglich
Für den Bundesrat bleiben die Fallzahlen ein wichtiges Kriterium bei Entscheidungen über Lockerungen, aber nicht das einzige. Gesundheitsminister Alain Berset geht davon aus, dass es in einer möglichen dritten Welle zu weniger Hospitalisationen kommt im Verhältnis zur ersten und zweiten Welle.
Dies aufgrund einer gewissen Immunisierung in der Bevölkerung und der angelaufenen Impfkampagne: «Das erlaubt uns einen Strategiewechsel. Wir können Schritte in Richtung Öffnung wagen trotz einer Situation, die epidemiologisch gesehen nicht so gut ist», sagte Berset.
Die Werte, nach denen sich der Bundesrat richtet, sind neben der 14-Tage-Inzidenz die Positivitätsrate, die Anzahl Covid-Patienten auf Intensivstationen sowie der R-Wert (Reproduktionszahl). Über allfällige Lockerungen entscheidet der Bundesrat am 19. März nach der angelaufenen Vernehmlassung bei den Kantonen.