Am 28. Februar hat die Schweiz über die Volksinitiative «Zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer» zu entscheiden. Eingereicht wurde die Vorlage 2012 von der SVP – sie wird von keiner anderen Partei unterstützt. Abgelehnt wird die Durchsetzungsinitiative auch von 120 Rechtsprofessoren sowie von 273 amtierenden und alt National- und Ständeräten, die ein Manifest dagegen unterzeichnet haben.
Darf das Volk richten?
Ziel der Durchsetzungsinitiative ist es, mehr straffällige Ausländer des Landes zu verweisen. Bei fix festgelegten Delikten müssten die Richter zwingend eine Ausschaffung verfügen – unabhängig davon, ob es sich um Secondos oder Kriminaltouristen handelt. Ausnahmen, selbst in Härtefällen, wären nicht möglich.
Da die Initiative bei ihrer Annahme direkt anwendbar wäre, hätte das Parlament keine Möglichkeit der Intervention. Die Legislative werde so umgangen und das Volk in den Richterstand erhoben, monieren die Gegner. Für die SVP unproblematisch: Das System der Schweiz beinhalte, dass sich das Volk einschalte, wenn es mit der Arbeit der Behörden unzufrieden sei, sagt SVP-Fraktionspräsident und Nationalrat Adrian Amstutz.
Ich bin zutiefst überzeugt davon, dass das Volk in seiner Summe weise Entscheidungen trifft, wenn es die nötigen Informationen hat.
In der Tat hat die SVP die Durchsetzungsinitiative aus Protest lanciert. So hatte das Stimmvolk am 28. November 2010 die Ausschaffungsinitiative der Partei angenommen und zugleich einen moderateren Gegenvorschlag von Bundesrat und Parlament verworfen. Dieser Gegenvorschlag wollte den Landesverweis an das Strafmass und an die Schwere des Deliktes knüpfen. Zudem sah er eine zwingende Einzelfallprüfung vor.
Hier begannen die Differenzen: Die Umsetzungsvarianten, die der Bundesrat 2012 in die Vernehmlassung schickte, waren der SVP zu nah am abgelehnten Gegenvorschlag. Deshalb griff die Partei im Dezember 2012 zu einem politischen Druckmittel: Drei Jahre vor Ablauf der Umsetzungsfrist reichte sie die Durchsetzungsinitiative ein.
Stein des Anstosses: Die Härtefallklausel
Mittlerweile ist das Gesetz zur Umsetzung der Ausschaffungsinitiative verabschiedet worden. Den ursprünglich erarbeiteten Katalog von Delikten, die eine Wegweisung zur Folge haben, hat das Parlament zum Teil noch erweitert. Die 2010 von Volk angenommene Initiative sei somit erfüllt, die Durchsetzungsinitiative unnötig, sagen die Gegner.
Wir haben heute eine der europaweit härtesten Ausschaffungsgesetzgebungen.
Dieses Argument lässt die SVP nicht gelten. Sie stört sich vor allem an der Härtefallklausel, an der das Parlament nach zähem Ringen festhielt. Diese erlaubt es den Gerichten, im Ausnahmefall keine Ausschaffung zu verfügen, wenn diese «für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen».
Verhältnismässig – oder eben nicht?
Für Bundesrat und Parlament ist die Härtefallregelung unumgänglich, um das in der Verfassung verankerte Gebot der Verhältnismässigkeit zu wahren – und um völkerrechtliche Bestimmungen wie die Menschenrechtskonvention (EMRK) nicht zu verletzen. Doch: Damit werde der Wille des Souveräns missachtet, so die Volkspartei. Schliesslich habe das Volk 2010 explizit Nein gesagt zur Härtefallklausel.
Weiter enthält die Durchsetzungsinitiative einen zweiten Katalog von leichteren Straftaten, die automatisch zur Ausschaffung eines Ausländers führen, wenn dieser in den vorangegangenen zehn Jahren schon einmal zu einer Geld oder Gefängnisstrafe verurteilt wurde. Die Durchsetzungsinitiative werde damit zur Verschärfungsinitiative, sagt Bundesrätin Sommaruga. Die SVP weist diesen Vorwurf zurück: Gerade mit dem zweistufigen Deliktskatalog trage man der Verhältnismässigkeit Rechnung.
Bei einem Ja zur Durchsetzungsinitiative fürchten die Gegner nicht nur Konflikte mit der EMRK. Auch Brüssel würde wohl zerknirscht reagieren. Denn schafft die Schweiz automatisch und ohne Einzelfallprüfung EU-Bürger aus, verstösst sie damit gegen das Freizügigkeitsabkommen. Dies erschwere die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU, warnt Sommaruga. Es schade der Wirtschaft keinesfalls, wenn kriminelle Ausländer des Landes verwiesen würden, entgegnet jedoch die SVP. Im Gegenteil: Nur ein sicheres Land ziehe Investoren an.
10'000 Ausländer jährlich weg?
Erleidet die Durchsetzungsinitiative am 28. Februar Schiffbruch, dann tritt das bereits beschlossene Umsetzungsgesetz zur Ausschaffungsinitiative in Kraft. Die Zahl der Ausschaffungen dürfte auch in diesem Fall stark ansteigen. Laut Bundesamt für Statistik waren es nach altem Recht 400 bis 500 jährlich. Bei Anwendung des neuen Gesetzes hätten 2014 fast rund 3800 die Schweiz verlassen müssen (Härtefälle vorbehalten).
Wird hingegen die Durchsetzungsinitiative angenommen, erhielten jährlich 10‘000 straffällige Ausländerinnen und Ausländer einen Landesverweis – theoretisch. Fakt ist: Schon heute können längst nicht alle beschlossenen Ausschaffungen vollzogen werden. Etwa weil in der Heimat des Betroffenen Krieg herrscht oder weil Rückübernahme-Verträge mit den Herkunftsländern fehlen. So sind laut den Behörden derzeit knapp 4800 Ausschaffungen hängig.
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Heikle Aufgabe für die Richter
Zudem ist schwer abzuschätzen, wie die Gerichte in der Praxis mit der Durchsetzungsinitiative verfahren würden. An den Richtern wäre es, Volkswille, Grundrechte und Völkerrecht in Einklang zu bringen. Wie dies geschehen wird, darüber sind sich die Experten höchst uneins.
Simpel dürfte die Umsetzung also nicht werden. Eine einfache Lösung, der Durchsetzungsinitiative zu entgehen, gibt es hingegen aus Sicht der SVP für jeden Ausländer. «Er wird nicht kriminell. Dann wird er auch nicht ausgeschafft», so Fraktionschef Amstutz.