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Engpass bei Medikamenten Sind Pflichtlager auf Schönwetterlagen ausgelegt, Frau Humbel?

Wegen der Corona-Krise könnten in den Schweizer Spitälern gewisse Medikamente knapp werden. Vor allem bei starken Schmerz- und Beruhigungsmitteln sowie Antibiotika zeichnen sich bereits Engpässe ab, wie SRF berichtet hat. Wie kann das sein – in einem Land, das eines der besten und teuersten Gesundheitssysteme weltweit hat? Ruth Humbel will niemandem den Schwarzen Peter zuschieben, sieht aber Bund, Kantone und Pharmaindustrie in der Pflicht.

Ruth Humbel

Politikerin

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Die Aargauerin ist Präsidentin der Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit (SGK) des Nationalrats. Seit 2003 sitzt sie für die Mitte im Parlament.

SRF News: Noch bevor der Höhepunkt der Corona-Erkrankungen erreicht ist, zeichnet sich ein Engpass bei der Medikamentenversorgung ab. Wie kann das passieren?

Ruth Humbel: Wir befinden uns in einem Jahrhundertereignis. Ein Ereignis, auf das sich niemand so richtig vorbereitet hat. Das hat auch ein Gutachten von Thomas Zeltner gezeigt: Verschiedene Akteure, von den Spitälern bis zu den Kantonen, haben zu wenig Vorräte für eine solche Epidemie angelegt.

Für solche Fälle gibt es die Pflichtlager. Diese Medikamente müssten für drei Monate reichen. Das tun sie offensichtlich nicht – was ist schiefgelaufen?

Das Pflichtlager des Bundesamts für wirtschaftliche Landesversorgung dürfte für drei Monate reichen in einer Situation, die nicht der jetzigen gleicht, wo in allen Ländern Engpässe bestehen und Hamsterkäufe geschehen. Zudem hatten wir in verschiedenen Bereichen bereits Engpässe zu verzeichnen. Dieses Problem wurde schon vor einiger Zeit von Spitalapothekern beanstandet.

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Sind diese Pflichtlager also auf Schönwettersituationen ausgelegt?

Eigentlich gibt es im Pandemieplan klare Vorschriften. Es zeigt sich, dass sich niemand richtig daran gehalten hat. Dieses Problem muss nach der Krise bestimmt aufgearbeitet werden.

Wenn sich niemand an die Vorgaben gehalten hat: Hat die Kontrolle versagt?

Für das Gesundheitswesen sind primär die Kantone zuständig. Ich möchte jetzt aber nicht den Schwarzen Peter hin- und herschieben. Wichtig ist: Nach dieser Krise muss das Problem auf den Tisch kommen, damit man daraus für die Zukunft lernen kann.

Die Schweiz und Europa sind zu stark von der Produktion des Fernen Ostens abhängig.

Ein wichtiger Punkt wäre die Frage der Produktion: Wir stellen fest, dass wir zu stark vom Fernen Osten, insbesondere von China abhängig sind. Da muss sich die Schweiz mit der Pharmaindustrie Überlegungen machen, dass Produktionsstätten für Wirkstoffe wieder zurück in die westliche Welt geholt werden. Die anderen europäischen Länder haben das gleiche Problem. Es ist angezeigt, dieses zusammen zu lösen.

Was kann die Politik gegen die Engpässe tun?

Die Militärapotheke ist in gewissen Bereichen in der Lage, Medikamente zu produzieren. Es ist auch ein Aufruf zu machen, dass gerade bei starken Schmerzmitteln von Hamsterkäufen abgesehen wird. Institutionen sollen sich zusammenschliessen und schauen, wo die Medikamente verfügbar sind. Die Wirkstoffproduktion in China ist wahrscheinlich wieder angelaufen. Der Bund muss sich jetzt bemühen, wieder zu diesen Medikamenten zu kommen.

Und längerfristig: Braucht es zusätzliche Medikamente in den Pflichtlagern?

Es muss darauf geachtet werden, dass alle die Vorschriften der Pflichtlager einhalten. Es muss auch überprüft werden, in welchen Bereichen die Armeeapotheke einspringen könnte. Das ist aber eigentlich nur für den äussersten Fall vorgesehen: Man ist immer davon ausgegangen, dass die Medikamentenversorgung durch die Privatwirtschaft sichergestellt werden kann. Deshalb sind Gespräche mit der Privatwirtschaft dringend angezeigt.

Das Gespräch führte Christina Scheidegger.

SRF 4 News, 27.3.2020, 06.15 Uhr ; 

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