Es ist eines der dunkelsten Kapitel in der jüngeren Zürcher Geschichte: die offene Drogenszene Ende der 80er Jahre im Platzspitz-Park, vis à vis vom Hauptbahnhof. An manchen Tagen hielten sich dort bis zu 3000 Drogensüchtige auf. Setzten sich einen Schuss, lebten im grössten Elend und in Armut. Manche starben auch dort.
Mehr als 30 Jahre nach der Räumung des Platzspitzes fordert ein junger Stadtzürcher nun ein Denkmal, das an diese Zeit erinnern soll.
Paolo Rüegg – Jahrgang 1996 – hat das Drogenelend auf dem Platzspitz in Zürich nie persönlich erlebt. Aber seine Eltern erzählten ihm davon. Und sie warnten ihn als Kind: «Geh lieber nicht dorthin, schau im Sandkasten wegen Spritzen.»
Wenn er später als Erwachsener durch den Park gelaufen sei, habe er es immer erstaunlich gefunden, dass nichts im Park an die Zeit damals erinnere.
Sonst würden Denkmäler an wichtige Ereignisse oder Persönlichkeiten erinnern – zum Beispiel an Alfred Escher, oder Hans Waldmann. «An das Drogenelend erinnert nichts.» Dabei seien Tausende Süchtige und ihre Angehörigen davon betroffen gewesen. «Ich fände es schön, wenn der öffentliche Raum für ein solch monumentales Ereignis greifbar würde.» Die Stadt solle dieses Kapitel nicht unter den Tisch wischen.
An das Drogenelend erinnert nichts.
Paolo Rüegg verfasste deshalb eine Einzelinitiative und gelangte damit an das Zürcher Stadtparlament. Ein politisches Instrument, das allen stimmberechtigten Stadtzürcherinnen und -zürchern offen steht. In seiner Initiative fordert er, dass die Stadt auf dem Platzspitz ein Denkmal errichten soll. Ein Denkmal, das Raum gibt zum Erinnern, zum Trauern und zur Information.
Zum Aussehen des Denkmals macht Rüegg keine Vorgaben. «Es kann viele verschiedene Formen haben. Wichtig ist mir, dass es nicht nur einfach eine Plakette ist.» Es soll den Menschen Respekt erweisen, die gelitten haben in dieser Zeit, und ihnen gerecht werden.
Eine Skulptur gibt es bereits
Mit seiner Initiative traf Paolo Rüegg einen Nerv. Im Stadtparlament unterstützen 69 Politikerinnen und Politiker sein Anliegen – mehr als die Hälfte des Rats. Nun hat die Stadtregierung eineinhalb Jahre Zeit, um zu prüfen, wie und ob ein Denkmal zu der offenen Drogenszene in Zürich realisiert werden könnte.
Eine passende Skulptur dazu wäre bereits vorhanden: Inspiriert vom Drogenelend schuf die Zürcher Künstlerin Lilian Hasler 1991 den «Fixer», eine fast drei Meter hohe Figur aus weissem Marmor.
Die heute 65-Jährige wollte damals ein Zeichen setzen für die Fixerinnen und Fixer. Der Stadtrat goutierte die Skulptur aber nicht. Nur wenige Tage, nachdem Lilian Hasler sie im Rahmen einer Demonstration aufgestellt hatte, musste sie den «Fixer» wieder wegräumen. Die Begründung: So etwas gehe nicht ohne Bewilligung. Hasler glaubt, es habe auch noch einen anderen Grund gegeben: «Man wollte sich nicht richtig erinnern an diese Situation.»
Unterdessen hat der Wind gedreht. Die Politik hat sich stark verändert, das zeigt auch der Zuspruch zur Einzelinitiative von Paolo Rüegg im Stadtparlament.
Man wollte sich nicht richtig erinnern an diese Situation.
Lilian Hasler wäre auf jeden Fall bereit, ihre Skulptur wieder zur Verfügung zu stellen. Sie gehöre in die Öffentlichkeit. Sie sagt aber auch: «Ich bin mir nicht sicher, ob wir heute eine andere ästhetische Sprache haben, wie wir Problemstellungen in der Öffentlichkeit kundtun wollen.» Ob ihre Skulptur dereinst wieder im Platzspitz-Park zu sehen sein wird, ist also offen.