Zum Inhalt springen

Evakuiertes Bündner Dorf Einheimische befürchten, dass Brienz/Brinzauls aufgegeben wird

Nicht nur die Zukunft des kürzlich zerstörten Dorfes Blatten VS ist ungewiss. In Brienz GR dürfen die Bewohner seit Monaten nicht mehr in ihren Häusern übernachten. Ihre Umsiedlung ist dennoch umstritten. Wer sich dafür entscheidet, kann nie mehr in das gefährdete Dorf zurückkehren.

Als das Dorf Brienz/Brinzauls GR im November zum wiederholten Mal wegen eines drohenden Bergsturzes evakuiert wurde, musste Georgin Bonifazi einen neuen Wohnsitz finden. Zuflucht fand die Bauernfamilie in Landquart – eine dauerhafte Rückkehr ist aber mehr als ungewiss.

«Das ist eine Belastung für die ganze Familie. Wir stehen überall an und finden einfach keine Lösung», sagt der Bauer. Er pendelt jeden Tag mit seinem Auto eine knappe Stunde zu seinem Land, aber Brienz ist Sperrzone. Zutritt gibt es prinzipiell nur für Dorfbewohner und nur tagsüber. Bonifazi befürchtet, dass die Behörden Brienz ganz aufgeben werden. Denn wer das Dorf freiwillig verlässt, soll entschädigt werden. Doch Geld gibt es nur, wenn das alte Haus abgerissen wird. Brienz drohe, zu einem Geisterdorf zu werden.

«Mein Haus ist ein Geisterhaus»

Auch Aldo Liesch, der ein Haus in Brienz besitzt, klagt: «Mein Haus ist ein Geisterhaus. Alles geht viel zu lange.» Er hadert mit dem Angebot, denn die in Aussicht gestellte Entschädigung sei viel zu tief und die Bedingungen zu restriktiv, etwa eine Nutzungspflicht von zwanzig Jahren für ein neues Zuhause.

Gemeindepräsident Daniel Albertin verteidigt diese Auflagen: Man wolle verhindern, dass mit Ersatzbauten spekuliert werde. «Das ist eine der ersten Umsiedlungen in dieser Grössenordnung in der Schweiz.»

Viele seien dankbar für die Arbeit der Behörden. Doch so absurd es klingen mag: Wären die Häuser der Brienzer zerstört worden, wäre vieles einfacher, weil dann die Gebäudeversicherung einspringen müsste. Diese zahlt höhere Entschädigungen als die öffentliche Hand an Bewohnerinnen und Bewohner, die sich entscheiden, präventiv umzusiedeln.

«Uns wird nicht aktiv geholfen»

Im Stich gelassen fühlt sich auch Hans Peter Plattner, Gewerbler aus Brienz. Er kritisiert die Behörden: «Es ist die Ohnmacht, denn uns wird nicht aktiv geholfen. Eigentlich ist es ein Wegschieben von Verantwortung.» Die Gemeinde weist das zurück und sagt, sie unterstütze die Bevölkerung.

Kritik kommt auch von Zweitwohnungsbesitzern, denn ihr unbebautes Bauland soll nicht entschädigt werden. «Es geht nicht darum, dass man etwas vergoldet», sagt etwa Fabio Meier. Aber gar keine Entschädigung zu erhalten, sei «einschneidend».

Und die Familie von Bettina Zosso hatte geplant, das Bauland einmal den Kindern zu vererben. Aber jetzt ist das Land wohl wertlos.

Kanton Graubünden weist Kritik zurück

Beim Kanton weist man die Kritik zurück. Unbebautes Bauland stelle kein Risiko dar, die Vergütung ist gesetzlich nicht vorgesehen. Das Angebot einer präventiven Umsiedlung sei ein Erfolg, sagt Urban Maissen, Leiter des Amts für Wald und Naturgefahren. Man habe viel herausholen können für die Bevölkerung. «Die Voraussetzungen für Bewohner, die umsiedeln wollen, sind bedeutend besser geworden.»

Mann steht auf Wiese mit seinen Hühnern
Legende: Bauer befürchtet, dass die Behörden Brienz ganz aufgeben werden. SRF

Und es gehe darum, das Risiko von Schäden zu reduzieren. Deshalb müsse, wer umsiedelt, sein Haus abreissen. Darum sei auch keine Entschädigung von Bauland möglich, weil mit dem Verzicht darauf kein Risiko für Schäden reduziert werde.

Für Bauer Georgin Bonifazi, der seit Monaten vergeblich einen Hof in der Nähe sucht, ist das unverständlich: Mit dieser Pflicht, Häuser abzureissen, werde Brienz schleichend aufgegeben.

Rundschau, 04.06.2025, 20:10 Uhr;brus

Meistgelesene Artikel