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Familie und Arbeit «Wir müssen das Potenzial der gut ausgebildeten Frauen nutzen»

Mehr als die Hälfte der Schweizer Bevölkerung findet, dass idealerweise beide Eltern Teilzeit arbeiten sollten. Doch in Tat und Wahrheit leben nur 13 Prozent der Paare dieses Modell. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Statistik. Meist arbeitet der Mann Vollzeit, die Frau Teilzeit. Die möglichen Gründe kennt Gudrun Sander von der Uni St. Gallen.

Gudrun Sander

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Die Ökonomin Gudrun Sander ist Direktorin des Kompetenzzentrums für Diversity und Inklusion (CCDI) an der Universität St. Gallen.

SRF News: Wie ist die Kluft zwischen Vorstellung und Wirklichkeit zu erklären?

Gudrun Sander: Da gibt es verschiedene Gründe: Einer ist der tendenziell tiefere Lohn in typischen Frauenberufen. Und wenn eine Mutter nicht vor der Geburt ihres Kindes schon einen Karriereschritt in dem Sinne gemacht hat, dass sie mindestens gleich viel verdient wie der Mann, reduziert grösstenteils die Frau ihr Pensum – aus ökonomischer Vernunft, weil sie weniger verdient als der Mann. Ein weiterer Grund liegt im Steuersystem sowie im System der Subventionierung der externen Kinderbetreuung.

Was muss sich ändern, damit die Teilzeitarbeit für beide Elternteile möglich wird?

Wir sehen in unseren Studien, dass die Hälfte aller Beförderungen in Unternehmen an Personen im Alter zwischen 31 und 40 Jahren geht. Das ist genau das Alter, in dem viele Familien gegründet werden.

Es sollten mehr junge Leute befördert werden und Leute über 40 Jahren – insbesondere Frauen.

Das bedeutet für die Mütter auch geringere Aufstiegschancen sowie eine schlechtere Altersvorsorge. Und wenn man die Scheidungsrate von rund 50 Prozent hinzuzieht, bewirkt das einen grossen nachteiligen Effekt für die Frauen. Die Karrierefenster müssten also breiter werden: Es sollten vermehrt schon junge Leute befördert werden und Leute über 40 Jahren – insbesondere Frauen. Ein wichtiger Punkt ist auch, dass die Kinderbetreuung in der Schweiz günstiger werden muss.

Die Politik setzt stark auf Massnahmen bei den Betreuungskosten. Was kann das beitragen?

Tiefere Betreuungskosten allein werden das Problem nicht lösen, aber sie sind ein wesentlicher Baustein. Oft wird beim Familienbudget der Teilzeitverdienst der Frau den Betreuungskosten gegenübergestellt – und da bleibt unter dem Strich meist nicht viel übrig. Deshalb ergibt es oft keinen Sinn, dass die Frau mehr arbeitet.

Derzeit hat es das traditionelle Modell einfacher: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit.

Bräuchte es nicht auch mehr Eigenverantwortung der Frauen? Man könnte ja auch sagen, dass es die Entscheidung der Frau ist, nach der Geburt nicht wieder in die Arbeitswelt einzusteigen …

Es ist zu einfach, den Frauen den Schwarzen Peter zuzuschieben, wenn gleichzeitig die Strukturen und Systeme darum herum es so schwierig machen. So gibt es derzeit grosse steuerliche Nachteile, wenn beide in hohen Teilzeitpensen arbeiten. Bei einer Individualbesteuerung würden sie in einem solchen Fall gegenüber heute finanziell profitieren. Doch derzeit ist es einfacher, das traditionelle Modell zu wählen: Der Mann arbeitet Vollzeit, die Frau Teilzeit in kleinem Pensum.

Grundsätzlich gesehen: Wie gravierend ist die Kluft zwischen Vorstellung und Realität bei der Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Familie?

Die ist gravierend, vor allem weil sie negative Folgen für die Frauen hat. Und dabei gibt es heute so viele gut ausgebildete Frauen wie noch nie – und wir sollten dieses Potenzial besser nutzen. Wenn es beispielsweise nicht gelingt, die Absolventinnen der Humanärztinnen-Ausbildung – hier machen Frauen 60 Prozent aller Studierenden aus – im Gesundheitswesen zu behalten, wird unser Gesundheitssystem den Bach runtergehen. Diese Frauen müssen beschäftigt werden und aufsteigen können – und gleichzeitig die Möglichkeit einer Familie haben.

Das Gespräch führte Amir Ali.

SRF 4 News aktuell, 14.5.2025, 6:50 Uhr ; 

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