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Flankierende Massnahmen Gewerkschaften verweigern Verhandlungen

  • Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) will nicht mit dem Bundesrat über die flankierenden Massnahmen verhandeln.
  • Auch der Dachverband Travail.Suisse wird nicht an den für Donnerstag geplanten Gesprächen teilnehmen.
  • Der SGB lehnt nur schon das Ziel der Gespräche ab, die aus seiner Sicht den Lohnschutz in der Schweiz schwächen würden.

SGB-Präsident Paul Rechsteiner sprach vor den Medien von einem «Verrat» an den Arbeitnehmenden. Es stehe viel auf dem Spiel. Was in den letzten Wochen und Tagen geschehen sei, habe man sich noch vor kurzem nicht vorstellen können.

Den freisinnigen Bundesräten Johann Schneider-Ammann und Ignazio Cassis wirft Rechsteiner vor, den Lohnschutz in der Schweiz zur Disposition zu stellen – und dies, obwohl der Bundesrat etwas anderes entschieden habe.

Der Gewerkschaftsbund (SGB) hat beschlossen, den für Donnerstag geplanten Gesprächen fernzubleiben. Auch der Dachverband Travail.Suisse nimmt nicht teil.

Kein Ausloten mehr möglich

Vor den Sommerferien hatte der Bundesrat die «roten Linien» für die Verhandlungen mit der EU über ein Rahmenabkommen bestätigt. Dazu gehören die flankierenden Massnahmen (FlaM) zur Personenfreizügigkeit, die nicht angetastet werden sollen.

Gleichzeitig sollten aber die Sozialpartner konsultiert werden, um die «Auslegung» dieser «roten Linien» zu diskutieren, sagte Bundesrat Ignazio Cassis im Juli. Die Frage sei, wie das gleiche Ziel – der Lohnschutz – allenfalls mit anderen Instrumenten erreicht werden könne.

«Kein eigenständiger Lohnschutz»

Nach Darstellung des SGB hat das Wirtschaftsdepartement (WBF) von Johann Schneider-Ammann folgendes Ziel formuliert: Aus den Verhandlungen sollen Vorschläge resultieren, wie die flankierenden Massnahmen in «einer von der EU akzeptierten Form» ausgestaltet werden könnten. Diese müssten zudem «vor einer allfälligen Einschätzung des EuGH Bestand haben».

Das laufe darauf hinaus, den Lohnschutz in der Schweiz substanziell zu schwächen, schreibt der SGB. Für den SGB «bricht diese Vorgabe mit allen bisherigen Beschlüssen, dass die Schweiz ihre europaweit höchsten Löhne eigenständig schützen kann».

Es gibt beim Lohnschutz keine Konzessionen.
Autor: Paul Rechsteiner SGB-Präsident

Wenn die EU-Kommission und der Europäische Gerichtshof (EuGH) Kompetenzen zu den flankierenden Massnahmen erhielten, werde der Druck auf den Schweizer Lohnschutz massiv steigen. Länder wie Österreich oder Luxemburg seien bereits gezwungen worden, einen Teil ihrer Schutzmassnahmen aufzugeben, gibt der SGB zu bedenken.

Einen solchen Preis wollen die Gewerkschaften für ein institutionelles Rahmenabkommen mit der EU nicht zahlen. «Dann lassen wir es bleiben», sagte Rechsteiner. Eine Schwächung des Lohnschutzes würden die Gewerkschaften mit allen geeigneten Mitteln bekämpfen, bis hin zum Referendum. Stellen sich am Ende neben der SVP auch die Gewerkschaften gegen das Abkommen, dürfte dieses chancenlos sein.

Arbeitgeber bitten an den Tisch

Der Direktor des Schweizerischen Arbeitgeberverbands, Roland Müller, zeigt sich enttäuscht von dem gestörten Vertrauen zwischen Gewerkschaften und Bundesrat. Er hätte sich gewünscht, dass man miteinander spricht und ergebnisoffen an den Tisch sitzt.

«Die Gewerkschaften gehen davon aus, dass automatisch in diesen Diskussionen der Arbeitnehmerschutz abgebaut werden soll. Das erachten wir nicht als gegeben, weil wir das auch nicht wollen. Uns stört darum die Abstinenz an diesen Gesprächen», erklärt Müller.

8-Tage-Regel steht zur Debatte

Bisher wurde vor allem über eine mögliche Aufweichung der sogenannten 8-Tage-Regel diskutiert. Gemäss dieser müssen Unternehmen aus der EU einen Auftrag in der Schweiz mindestens 8 Tage vorab den Schweizer Behörden melden. Das ermöglicht Lohnkontrollen – vor allem bei jenen, die nur kurz in der Schweiz arbeiten.

Der SGB betont aber, es gehe um viel mehr als um diese Regel. Das Wirtschaftsdepartement wolle beispielsweise den gesamten Lohnschutz über Gesamtarbeitsverträge (GAV) zur Diskussion stellen. Das betreffe die Kontrollhäufigkeit, die Kautionen, die Massnahmen gegen die Scheinselbständigkeit sowie die Dienstleistungssperre.

Am heutigen Kontrollsystem mit der 8-tägigen Voranmeldung will darum SP-Fraktionschef Roger Nordmann unbedingt festhalten. Das Rahmenabkommen mit der EU werde abstürzen, wenn die flankierenden Massnahmen angetastet würden.

Es brauche nicht nur Regeln, sondern die Möglichkeit, effektiv Kontrollen durchzuführen, sagt Nordmann: «Dafür braucht es diese Voranmeldung. Sonst kommen sofort die Schlitzohren, respektieren die Regeln nicht und entweichen den Kontrollen und das geht nicht.»

Gewerkschaften und die SP setzten den erfolgreichen bilateralen Weg aufs Spiel kontert der Luzerner FDP-Ständerat Damian Müller: «Diese Frontalopposition und gleichzeitige Gesprächsverweigerung ist total inakzeptabel.» Jetzt sei Dialog gefragt, es müssten alle an den Tisch und Lösungen erarbeitet werden.

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