Urs Rauber ist 38. Er ist in Mitholz aufgewachsen, führt mit seiner Frau, Margrit (34) einen kleinen Bauernbetrieb. Die Sommer verbringen sie auf einer Alp in der Region und im Winter jobbt Urs als Metallbauschlosser. Die Raubers haben zwei Töchter, 4 und 8. Sie haben es sich eingerichtet, dieses Leben stimmt für sie. Aber es darf so nicht weitergehen. Weil es zu gefährlich ist in Mitholz. Weil das ehemalige Munitionsdepot, das 1947 in die Luft ging und nachher lange als sicher galt, eben doch nicht sicher ist, wie die Experten sagen.
«Jetzt, wo es auf Weihnachten zu geht, ist die ganze Sache viel präsenter», sagt Urs Rauber in der Küche seines Hauses. Der Gedanke, dass sie wegmüssen, ist da, aber so richtig glauben, damit abfinden, kann sich die Familie nicht. Oder zumindest noch nicht. Und es ist ein Gefühl von Ausgeliefertsein. Sie habe nicht Angst vor einer Explosion, sagt Margrit Rauber, schliesslich ist es ja seit über 70 Jahren ruhig in Mitholz. «Ich habe viel mehr Angst vor den politischen Entscheiden, die hier getroffen werden, und denen wir uns werden fügen müssen.» Und schliesslich glimmt immer noch ein Funke Hoffnung bei den Raubers. Hoffnung auf ein Wunder, auf eine plötzliche neue Erkenntnis, die den Umzug der Bewohnerinnen und Bewohner unnötig macht. «Solang, dass dieses Haus uns gehört, wohnen wir hier. Wir sind Mitholzer», sagt Urs Rauber leicht trotzig.
Jetzt, wo es auf Weihnachten zu geht, ist die ganze Sache viel präsenter
Ein Wunder, eine neue Erkenntnis, noch bevor die Arbeiten weit fortgeschritten und die Mitholzerinnen ihre Häuser verlassen haben – nein, kaum, sagt Brigitte Rindlisbacher. Die gebürtige Thunerin ist 67 und arbeitete lange Jahre im Militärdepartement. Guy Parmelin, damals Verteidigungsminister, holte sie als Präsidentin der Arbeitsgruppe Mitholz aus dem Ruhestand, um sich des Problems mit der vergessenen Zeitbombe im Berg anzunehmen.
«Eine Entwarnung im generellen Sinn, die wird es nicht geben. Vielleicht neue Erkenntnisse, wenn wir dann bis zur Munition vorstossen.» Diese Arbeiten sollen in gut zehn Jahren beginnen. Bis zu diesem Zeitpunkt aber muss die Evakuation der Bewohner abgeschlossen sein.
Wie kann Heimat ersetzt werden?
Darum beginnt nun eine komplexe Arbeit, die «Operation neue Heimat», wie man sie nennen könnte. Wobei Brigitte Rindlisbacher, die diesen Prozess aufgegleist hat, sagt: «Heimat kann man nicht ersetzen.» In einem ersten Schritt werden die Liegenschaften geschätzt, dann einigt man sich mit den Bewohnern auf einen Preis, zu dem die Mitholzer ihre Liegenschaft dem Bund verkaufen können.
Heimat kann man nicht ersetzen
Schwieriger ist dann aber die Suche nach einer neuen Bleibe. Das Ziel sei es, faire Lösungen zu finden, mit denen jeder einzelne Mitholzer, jede einzelne Mitholzerin leben könne, betont Rindlisbacher. Das bedeutet auch: man kann nicht jeden Haushalt über den gleichen Leist schlagen. «Zum Beispiel talabwärts in der Gemeinde Kandergrund, zu der Mitholz gehört, ein paar Blöcke aufstellen, und sagen, da wohnt ihr jetzt die nächsten zehn Jahre, ist völlig undenkbar.»
Ebenso verworfen habe man die Idee, das Dorf an anderer Stelle neu aufzubauen. «Die Idee «New Mitholz» haben wir auch gewälzt», sagt Rindlisbacher, «aber wir sind zum Schluss gekommen, dass das nicht im Sinne der Bevölkerung wäre.» Zu unterschiedlich sind die Bedürfnisse.
Eine Minderheit kann sich vorstellen, wieder nach Mitholz zurückzukehren, wenn die Gefahr gebannt ist, das hat eine Umfrage des VBS gezeigt. Die deutliche Mehrheit aber will, wenn schon, für immer weg. Allerdings gehen auch hier die Bedürfnisse auseinander, wo denn der bevorzugte neue Wohnort sein könnte. Darum strebt das VBS Verträge mit jedem einzelnen Haushalt an, individuelle, massgeschneiderte Lösungen. «Für die, die in der Region bleiben wollen versuchen wir zum Beispiel, Bauland in Kandergrund einzuzonen.»
Die Betroffenen organisieren sich
Unterdessen haben sich die Leute von Mitholz organisiert, um ihre Interessen in diesem Prozess besser zu vertreten. Dafür haben sie sich einen gemeinsamen Anwalt gesucht. Zumindest auf den ersten Blick überraschend: Das VBS bezahlt diesen Anwalt.
«Das ist in unserem Interesse», sagt Arbeitsgruppen-Präsidentin Brigitte Rindlisbacher. «Es kann nicht sein, dass am Ende jene besser wegkommen, die sich am vehementesten Äussern». Die Interessengruppe mit gemeinsamem Anwalt könnte dazu beitragen, dass es eine gewisse Gleichbehandlung gebe.
Eine der grössten Explosionen ohne Kernkraft
Dabei steht das VBS besonders in der Verantwortung. Es geht hier nicht nur um ein Projekt im öffentlichen Interesse, dem einige Häuser weichen müssen. Der Bund hat hier auch etwas gut zu machen, weil er die Situation verschuldet hat. Das schlägt sich auch in den ersten Kosten-Schätzungen nieder, die das VBS für die Räumung des ehemaligen Munitionsdepots Mitholz gemacht hat: bis zu 900 Millionen Franken sollen es sein.
Raubers wollen nicht zurückkehren
Raubers sehen dem kommenden Termin, bei dem der Wert ihres Hofes eingeschätzt wird mit Unbehagen entgegen. «Wir haben ein altes, aber ein gutes Haus», sagt Margrit Rauber. Sie hätten in den letzten Jahren auch investiert: Ein neues Dach, neue Fenster, ein neues Bad. Bald wäre die Küche dran gewesen.
Dass ihnen ein Heim angeboten wird, in dem ihr Leben zwischen Tal und Alp weiter möglich ist, kann sie sich kaum vorstellen. Aber der Gedanke, Abstriche machen zu müssen, schmerzt sie: «Wir leben mit wenig, aber wir leben gut.» Und sie wolle keine Verschlechterung in Kauf nehmen. «Wir brauchen ein Heim für uns und die Tiere», sagt sie.
Gemäss Plan sind die Arbeiten in Mitholz im Jahr 2040 abgeschlossen. Dass sie dann nochmals zurückkehren werden, können sich Raubers nicht vorstellen. «Ich wohne jetzt 10 Jahre in Mitholz, habe hier Kontakte geknüpft und mich eingelebt», sagt Margrit Rauber. Dasselbe werde sie an einem neuen Ort tun. Es dann aber noch einmal auf sich zu nehmen – mit Mitte 50 – ist für sie nicht vorstellbar. «Wir werden nicht nach Mitholz zurückkehren», da ist sich auch Urs Rauber sicher.
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