Zum Inhalt springen

Frauen im Militär Die Armee soll weiblicher werden

Die Armee soll weiblicher werden. VBS-Chefin Viola Amherd will den Frauenanteil bis 2030 auf 10 Prozent steigern. Eine neue Fachstelle soll die Armee weiblicher machen. Uniformen, Sprache, Kasernen sollen nicht länger nur auf Männer ausgerichtet sein. Ein Truppenbesuch zeigt die Mankos.

Frühmorgens irgendwo am Neuenburgersee: Seraina Greub steht zusammen mit ihrer Kollegin Delia Schellhammer und anderen Offiziersaspiranten um ein Feuer. Die 20-Jährige hat in den letzten beiden Nächten gerade mal knapp fünf Stunden geschlafen. Jetzt gibt’s Frühstück oder besser gesagt, die AspirantInnen machen sich Frühstück: Sie braten Eier und Speck über dem offenen Feuer. Die jungen Männer und Frauen befinden sich in der sogenannten Durchhaltewoche. Hier werden sie an ihre psychischen und physischen Grenzen geführt.

Eine Soldatin sitzt im Kreis ihrer Kameraden um ein Feuer und brät Spiegelei und Speck
Legende: Delia Schellmann ist eine von drei Frauen in der 36-köpfigen Luftwaffen-Offiziersschule. SRF

Seraina Greub macht das alles freiwillig. Sie ist zur Luftwaffe gegangen, weil sie Kampfjetpilotin werden will. Auch ihre 24-jährige Kollegin Delia Schellhammer ist freiwillig im Militär. Und auch sie hat sich nicht zufällig bei der Luftwaffe einteilen lassen. Auch ihr Traumjob ist Militärpilotin. Die beiden machen also nicht nur aus Vaterlandsliebe freiwillig Militärdienst.

Schweizer Armee ist nach wie vor Männersache

Als Frauen sind Greub und Schellhammer im Militär nach wie vor deutlich in der Minderheit. In der 36-köpfigen Luftwaffen-Offiziersschule sind drei Frauen.  Das sind immerhin fast zehn Prozent. In der Gesamtarmee macht der Frauenanteil gerade mal knapp ein Prozent aus. VBS-Chefin Viola Amherd will diesen Anteil bis 2030 verzehnfachen. Illusorisch?

Die Armee in Zahlen

Box aufklappen Box zuklappen

Die Schweizer Armee hat derzeit einen Bestand von 147’510 Personen (Stand 2021). Davon 1500 Frauen. Dies entspricht ziemlich genau 1 Prozent.


Im letzten Jahr wurden in den Rekrutierungszentren 31’246 Stellungspflichtige beurteilt. 22'643 von ihnen wurden für tauglich befunden und für die Rekrutenschule zugeteilt. Davon waren 546 Frauen. Das entspricht einem Anteil von über 2 Prozent, so viel wie noch nie.


2665 der Rekrutierten wurden dem Zivilschutz zugeteilt. 6148 leisten Zivildienst.

Nein, meint Mahidé Aslan. Sie ist Leiterin der neu geschaffenen Fachstelle «Frauen in der Armee und Diversity», kurz FiAD. Eine Prognose, wie schnell der Frauenanteil in der Armee steigen wird, sei nicht möglich, meint Aslan. Aber sie und ihre Fachstelle wollen ihr Bestes geben, damit diese Zahl ansteigt.

Ob Uniform oder Sprache – die Armee ist kaum auf Frauen ausgerichtet

Der Schwerpunkt der Fachstelle liegt darin, die Armee weiblicher zu machen. Das beginnt in der Sprache. So gibt es neu Empfehlungen, beispielsweise bei Funktionsbezeichnungen auch die weibliche Form zu verwenden. Also Offiziere und Offizierinnen, Küchenchefs und Küchenchefinnen, Aspiranten und Aspirantinnen.

Die eigentlichen militärischen Grade werden jedoch nicht verändert. Wenn eine Frau den Grad eines Hauptmanns trägt, wird sie nicht zur Hauptfrau, auch Leutnant bleibt Leutnant, egal ob die Funktion von einem Mann oder einer Frau verkörpert wird.

Mahidé Aslan schaut in die Kamera und lacht. Sie sitzt auf einem Sofa in Militär Wollendecke Stil.
Legende: Mahidé Aslan leitet die neu geschaffene Fachstelle «Frauen in der Armee und Diversity». Zvg.

Viel zu tun gibt es auch bei der militärischen Infrastruktur: So verfügen die meisten Kasernen nur über Männer-Toiletten oder Männer-Duschen. Auch hier braucht es bauliche Anpassungen. Selbst die Uniformen sind männerdominiert. Das bekommen auch die Aspirantinnen Greub und Schellhammer zu spüren. Bei Schultern und Hüften würden die Uniformen nicht passen, meinen die beiden Frauen.

Kein Wunder: Die Masse der Tarnanzüge und Standard-Uniformen sind auf Männerkörper zugeschnitten. Auch hier brauche es Anpassungen, meint Aslan. Dabei gehe es aber mehr um die Körperformen, denn um optische Unterschiede. So können Frauen bei der Ausgangsuniform nach wie vor wählen, zwischen Hose und Rock. Auch hier wird diskutiert, ob dies überhaupt noch gendergerecht ist.

Das Potenzial der Frauen wurde lange übersehen

Bei der Schweizerischen Offiziersgesellschaft SOG misst man der Frauenförderung in der Armee hohe Priorität zu. Stefan Hollenstein ist ehemaliger SOG-Präsident und Präsident der Landeskonferenz aller militärischen Dachverbände. Er sagt, Frauenförderung in der Armee sei von strategischer Relevanz.

Je vielfältiger die Menschen in einer Gruppe sind, desto fähiger sind sie, neue Ideen und Lösungen zu finden.
Autor: Mahidé Aslan Leiterin Fachstelle «FiAD»

Zum einen brauche man sicher mehr Frauen für die Rekrutenschulen, um den Sollbestand der Armee langfristig zu sichern. Zum anderen aber wolle die Armee auch von der Qualität der Frauen profitieren. Man könne nicht freiwillig auf das Potenzial der Frauen verzichten, so Hollenstein.  

Auch FiAD-Chefin Aslan ist überzeugt, dass gemischte Teams besser funktionieren.  «Je vielfältiger die Menschen in einer Gruppe sind, desto fähiger sind sie, neue Ideen und Lösungen zu finden.» Das gelte auch für die Armee.

Orientierungstag soll für alle Pflicht werden

Da Offizier Hollenstein nicht daran glaubt, dass es in der Schweiz in absehbarer Zeit eine obligatorische Militär-Dienstpflicht für Frauen gibt, will er den Weg der kleinen Schritte gehen. Ganz wichtig sei, dass der Orientierungstag der Schweizer Armee auch für alle Schweizerinnen obligatorisch werde.

Eine blonde Frau mit Tarnkappe und Uniform sitzt auf dem Rasen und schaut mit einem leichten Lächeln in die Kamera.
Legende: Seraina Grueb findet, der Orientierungstag sollte für alle Pflicht sein. Mit mehr Informationen würden sich auch mehr Frauen fürs Militär begeistern lassen, ist sie überzeugt. SRF

Das sei der Schlüssel zum Erfolg, ist Hollenstein überzeugt. Denn nur durch eine Teilnahmepflicht könne die Armee auch eine Mehrheit der Frauen erreichen und von ihren Vorzügen überzeugen. Auch die Aspirantinnen Greub und Schellhammer würden dieses Obligatorium begrüssen. Viele ihrer Kolleginnen hätten nämlich keine Ahnung, was die Armee alles zu bieten habe.

Liegt die Lösung in der allgemeinen Dienstpflicht für alle?

Die Debatte um den Einbezug der Frauen in die Armee geht aber noch weiter. So hat der Verein «Citoyen Suisse» eine Initiative lanciert, die eine Dienstpflicht für alle fordert. Gemeint ist ein Dienst in der Armee, im Zivilschutz oder sonst einen Sozialdienst wie in einem Spital oder Pflegeheim.

Dieser obligatorische Bürgerdienst zugunsten der Allgemeinheit soll alle Bürgerinnen und Bürger des Landes betreffen, auch solche ohne Schweizer Pass. Auch wenn die Idee von einem überparteilichen Komitee lanciert wurde, dem Vertreterinnen und Vertreter aus verschiedenen Parteien angehören, ist das Echo der etablierten Parteien verhalten.

Eine Frau mit Tarnkappe schaut leicht grinsend in die Kamera. Im Hintergrund ein blauer See mit grünen Hügeln.
Legende: Der Traum vom Fliegen hat Delia Schellhammer dazu bewogen, ins Militär zu gehen. Sie will Kampfjetpilotin werden. SRF

Für die Linke gilt: Solange die Gleichstellung in anderen Bereichen des Lebens noch nicht erreicht ist, gibt es keine Dienstpflicht für Frauen. Bürgerliche wiederum sehen in einer allgemeinen Dienstpflicht Konkurrenz zur Privatwirtschaft. Auch die Armee selbst will davon nichts wissen. Sie will keine freie Wahl zwischen Militär, Zivil- oder Sozialdienst. Auch wenn die Initianten versichern, dass der Sollbestand der Armee garantiert bleibe.

«Man macht Sachen, die man sonst niemals tun würde»

Bei den Offiziersaspiranten der Luftwaffe hingegen ist man offen für eine Öffnung. Für die befragten Männer macht es keinen Sinn, dass in der heutigen Zeit nur Männer obligatorisch ins Militär müssen. Sie fordern eine Gleichbehandlung von Frauen und Männern.

Noch aber sind die Aspirantinnen Greub und Schellhammer eine Minderheit. Sie bereuen ihren Schritt aber nicht. Nicht nur aus beruflichen Gründen brächte ihnen der Militärdienst etwas, meint etwa Delia Schellhammer: «Wir haben zum Beispiel ein Iglu gebaut und eine Nacht darin geschlafen. Das macht man ja nicht einfach so.»

Auch Kollegin Seraina Greub schwärmt vom Teamgeist und Durchhaltewillen, den man in der Armee trainieren und steigern könne. Es sei eine Schule fürs Leben.

SRF 4 News, 17.06, 05:00

Meistgelesene Artikel