Mit seinen Corona-Umfragen im Auftrag der SRG nahm der Politgeograf Michael Hermann mit seinem Team des Forschungsinstituts Sotomo der Schweizer Bevölkerung während der Corona-Pandemie regelmässig den Puls. Im SRF-Interview erklärt er seine wichtigsten Erkenntnisse aus diesen Umfragen und wie es ihm persönlich in der Krise ergangen ist.
SRF News: Sie haben in letzter Zeit oft andere Personen nach ihrer Befindlichkeit befragt. Wie geht es Ihnen?
Michael Hermann: Recht gut. Ausser, dass ich einen Hexenschuss eingefangen habe auf dem Berg oben und fast nicht mehr runtergekommen bin. Aber sonst kann ich sagen, dass ich in dieser Pandemiesituation wieder das Gleichgewicht gefunden habe.
Die allererste Corona-Umfrage im Auftrag der SRG führten Sie im März 2020 durch, also eine Woche nachdem der Bundesrat die ausserordentliche Lage ausgerufen hatte. Viele Menschen befanden sich zu diesem Zeitpunkt in einer Art Schockstarre – Sie lancierten eine Online-Umfrage. Wie kam es dazu?
Ich hatte diese Schockstarre auch, allerdings zwei bis drei Wochen vorher. Als die ausserordentliche Lage ausgerufen wurde, war ich schon fast wieder gelassen. Ich erinnere mich, dass wir im Büro zusammen Mittag gegessen und darüber diskutiert haben, dass wir in dieser spannenden Zeit eine Studie machen müssen.
Innerhalb eines Tages gab es ein Okay von der SRG. Einen Tag später haben wir die Umfrage entworfen und am Wochenende die Leute befragt. Zwei Tage später präsentierten wir eine 70-seitige Studie. Und was mich fast ein bisschen stolz macht: Wir haben immer noch viele Fragen, die wir im März 2020 das erste Mal gestellt haben und nun wirklich zehnmal gemessen haben. Somit können wir die Entwicklung wirklich schön nachzeichnen.
Sie hatten volle Auftragsbücher, gleichzeitig kam das öffentliche Leben praktisch zum Stillstand. Wie haben Sie persönlich die Krise erlebt?
Ich bin bereits vor der Pandemie jeweils von einem Termin zum nächsten gerannt. Die Pandemie war für mich auf eine Art ein Erholungsmoment, ich konnte mehr von zu Hause aus arbeiten. Mit der Zeit ist das aber ein bisschen gekippt. Denn ich hatte auch immer mehr Zeit, um meine Studien fertigzuschreiben.
Ich gab Fernseh-Interviews aus den Veloferien in Teneriffa.
Ich hatte meinen Computer immer mit dabei, sogar in den Velo-Ferien. So gab ich dann auch mal Interviews in der «Tagesschau» von Teneriffa aus. Es gab also auf einmal keine Grenzen mehr und ich musste lernen, mir diese Grenzen selber zu setzen.
Ihre Umfragen waren in der Pandemie sehr gefragt. Sie gehören zu den Krisengewinnern. Passt Ihnen diese Bezeichnung?
Ja, das sage ich ja sogar selbst, ich gehöre zu den Krisengewinnern. Eine Krise bricht alte Strukturen auf und es ist tatsächlich so, wenn man agil ist, kann man das je nachdem auch für sich nutzen. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich sehr privilegiert bin. Viele haben in dieser Krise extrem gelitten.
Was haben Sie bei Ihren Corona-Umfragen über die Schweizer Bevölkerung gelernt?
Was in der Pandemie fest herausgekommen ist, war diese enorm aufgeladene Stimmung, insbesondere im letzten Herbst. Da spielen die tagesaktuellen und die sozialen Medien eine wichtige Rolle. Eingemittete Positionen erhalten dort eher weniger Platz. Wenn man aber die Umfragen anschaut, sieht man, dass ganz viele Leute in der Schweiz nicht in diesem Schwarzweiss-Schema sind, sondern irgendwo dazwischen. Diese differenzierte Sicht war zeitweise nicht mehr so sichtbar.
Das Gespräch führte Leonie Marti.