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Geheimdienstaffäre Crypto-Affäre: Jeder wartet auf jeden

Es war ein Coup für die Geheimdienste. Vor bald einem Jahr wurde bekannt, dass die Crypto AG manipulierte Geräte herstellte. Die CIA aber auch der Schweizer Nachrichtendienst konnten die Geräte knacken und über 100 Länder abhören. Noch vor den Enthüllungen griffen die Behörden durch. Sie verfügten einen Exportstopp für zwei der Nachfolgefirmen, die bei der Aufspaltung der Crypto AG 2018 die Produkte und Verträge übernahmen: TCG Legacy AG in Liquidation (sozusagen das Überbleibsel der Crypto AG) und Crypto International AG.

Seither wird über den Exportstopp mehr geschrieben als über die eigentliche Geheimdienstaffäre. Der Inhaber der Crypto International AG, Andreas Linde, beklagt sich in den Medien. Droht mit dem Wegzug, entlässt Mitarbeiter. Schweden sagt deswegen ein Treffen mit Bundesrat Ignazio Cassis ab. Und Parlamentarier reichen Vorstösse ein.

Die Firmen blockieren sich selbst

Es ist ein grosser Wirbel um eine blockierte Angelegenheit. Denn jeder wartet auf jeden.

Die Firmen wollen exportieren – und warten auf den Bundesrat. Dieser ist für den Stopp verantwortlich – und wartet auf die Bundesanwaltschaft. Diese ermittelt seit Februar, beschlagnahmte rund 400 Geräte – und wartet auf das Bundesgericht. Dieses prüft aktuell die Frage, ob die Geräte entsiegelt und somit überprüft werden dürfen. Die Firmen wehrten sich dagegen auf dem Rechtsweg.

In anderen Worten: Die Firmen blockieren mit der Versiegelung die Ermittlungen der Bundesanwaltschaft, auf welche der Bundesrat wartet, um einen definitiven Entscheid zum Exportstopp zu fällen. Die Firmen blockieren sich also selbst.

Der Ball ist wieder beim Bundesrat

Es wird noch komplexer: Gegen den Exportstopp haben die Firmen Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. Dieses trat nicht auf die Beschwerden ein, wie heute bekannt wurde. Die Begründung: Der Stopp sei ein «acte de gouvernement» und ruhe in der Verantwortung der Regierung. Nun ist der Ball wieder beim Bundesrat. Der wiederum auf die Bundesanwaltschaft wartet.

Schlussendlich geht es um viel grössere Fragen als den Exportstopp. Die erste wäre einfach zu beantworten: Sind die Geräte der Nachfolgefirmen sauber? Dies hat Andreas Linde immer beteuert. Und doch vertreibt seine Firma immer noch die «alten» Geräte der Geheimdienstfirma Crypto AG. Warum sollte deren Kryptologie von manipuliert auf sicher geändert haben, wenn Linde gemäss eigenen Angaben nichts über die Manipulationen wusste? Wie kann man etwas ändern, wovon man gar nichts weiss? Eine Überprüfung der Geräte könnte Klarheit bringen.

Sollen Geräte weiter ins Ausland gehen?

Die zweite Frage aber ist schwierig zu beantworten: Falls die Geräte nicht sauber wären, will die Regierung, dass sie weiterhin ins Ausland gehen? Bis vor Kurzem profitierte die Schweiz, weil sie durch das Abhören anderer Staaten zu Informationen kam. Doch wäre dies heute zeitgemäss?

Noch komplexer wird die Angelegenheit, weil es vom Bundesrat keine klare Linie gibt. Das zeigt ein Detail des heutigen Gerichtsentscheids. Auf alle Punkte der Beschwerden trat das Gericht nicht ein – ausser auf einen. Und zwar, weil der Bundesrat nicht explizit vermerkte, dass auch zukünftige Gesuche vom Exportstopp betroffen sein sollen. Es ist zu erwarten, dass Andreas Linde dies nutzt, um bei den hängigen Gesuchen Druck zu machen, um wieder zu exportieren.

Eine klare Linie des Bundesrats wäre dringend angezeigt. Zu allen Fragen rund um die Geheimdienstaffäre und nicht nur zum Exportstopp.

Fiona Endres

Redaktorin Rundschau

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Die Recherchejournalistin hat ihr Bachelorstudium in Medien- und Kommunikationswissenschaften und Zeitgeschichte an der Universität Freiburg absolviert und einen Master in Geschichte abgeschlossen. Zusammen mit dem Volontariat bei der Sonntags Zeitung schloss sie die Diplomausbildung Journalismus am MAZ ab. Seit 2017 arbeitet sie für die Rundschau.

Tagesschau, 11.12.2020, 12:45 Uhr

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