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Geheimdienstaffäre Cryptoleaks «Die Schweiz war ein Hotspot für ausländische Geheimdienste»

Dass gerade die Schweiz Schauplatz der umfassenden Abhöraktion geworden ist, die mit #cryptoleaks aufgedeckt wurde, sei kein Zufall, sagt der emeritierte Geschichtsprofessor Jakob Tanner. Dies lasse sich mit der geschichtlichen Entwicklung erklären.

Jakob Tanner

Historiker

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Jakob Tanner ist emeritierter Professor für neue Schweizer Geschichte. Der Wirtschaftshistoriker befasste sich etwa mit den wirtschaftlichen Beziehungen der Schweiz zu Nazideutschland.

SRF News: Wieso wurde die Abhöraktion von CIA und BND rund um die Crypto AG gerade in der Schweiz durchgeführt?

Jakob Tanner: Spionage hat schon immer stattgefunden. Nach der Gründung des Bundesstaats 1848 war die Schweiz zunehmend von sich vergrössernden Staaten umgeben. Vor allem das deutsche Kaiserreich übte wegen der vielen deutschen Sozialisten, die sich in unser Land abgesetzt hatten, immer stärkeren Druck aus – man wollte wissen, was die so tun. Deshalb richtete der Bund 1898 – vor allem auf Druck des ersten deutschen Reichskanzlers Graf Otto von Bismarck – eine permanente Bundesanwaltschaft ein.

Auch während des Ersten Weltkriegs war die Schweiz eine beliebte Drehscheibe von ausländischen Nachrichtendiensten. Weshalb?

Die schweizerische Neutralität führte dazu, dass das Land wirtschaftlich, kulturell und propagandistisch in das Kräftemessen der militärisch operierenden Mächte integriert war.

Operationsbasis für ausländische Geheimdienste.

Die Schweiz war Operationsbasis für ausländische Geheimdienste. Zugleich versuchte sie, sich nützlich zu machen: Davon zeugt etwa die «Obersten-Affäre» von 1916, als hohe Offiziere den Mittelmächten wichtige Informationen zukommen liessen und so die Neutralität verletzten. Vor allem in der Romandie löste das einen Sturm der Entrüstung aus. Daneben wurde die Schweiz aber auch ausgenutzt – etwa indem Deutschland hierzulande versuchte, Geheimdienstoperationen gegen andere Geheimdienste zu koordinieren. Die Schweiz war geradezu ein Hotspot für ausländische Geheimdienste inmitten des europäischen Kriegsschauplatzes.

Welche Rolle spielte die Schweiz für ausländische Geheimdienste im Zweiten Weltkrieg?

Damals passierte Entscheidendes: Die USA schufen einen permanenten Geheimdienst, den OSS – Vorläufer der CIA. Der Wettbewerb von Verschlüsslern und Entschlüsslern wurde damit auf höchstem wissenschaftlichen Niveau geführt.

In der Schweiz konnte in aller Ruhe die geheimdienstliche Aktivität organisiert werden.

Es war im Krieg entscheidend, ob man die Kommunikation des Gegners mithören konnte. Dabei lag die Schweiz quasi im Auge des Hurrikans: Rundherum brannte die Welt und in der Schweiz konnte in aller Ruhe die geheimdienstliche Aktivität organisiert werden.

Wie hat sich die Rolle der Schweiz für ausländische Nachrichtendienste in der Nachkriegszeit verändert?

Es herrschte Kalter Krieg. Es war daher schon fast symptomatisch, dass der Kryptospezialist Boris Hagelin 1948 von Schweden in die Schweiz übersiedelte und hier 1952 die Crypto AG gründete. Die Schweiz war zu Beginn des Kalten Kriegs eine Art Korridor zwischen den beiden Blöcken, durch den etwa Technologietransfergeschäfte liefen.

Das makellose, neutrale Selbstbild sollte nicht durch unbequeme Nachrichten befleckt werden

Dies stellten die USA 1952 ab, indem sich die Schweiz der indirekten Kriegsführung der Nato gegen den Ostblock anschliessen musste. Das wiederum passte aber nicht so recht ins Bild der neutralen Schweiz. Deshalb musste das irgendwie geheim bleiben, man schwieg sich darüber aus. Das makellose, neutrale Selbstbild der Schweiz, das in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Staatsmythos geworden war, sollte nicht durch Nachrichten befleckt werden, die zeigten, dass die effektive Politik anders lief.

Das Gespräch führte Daniela Püntener.

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