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Geschäftsmodell undurchsichtig Viagogo-Praktiken laut Gericht teilweise unlauter und irreführend

Der Zirkus Knie hatte gegen die Ticketplattform geklagt. Das Handelsgericht St. Gallen stützt die Klage teilweise.

Erstmals kritisiert ein Gericht in der Schweiz das Geschäftsmodell von Viagogo in aller Deutlichkeit. Im Urteil des Handelsgerichts St. Gallen zu einer Klage des Zirkus Knie werden gleich mehrere Geschäftspraktiken der Ticketplattform als unlauter und irreführend bezeichnet.

Viagogo hatte beispielsweise bei mehreren Vorstellungen des Zirkus Knie angegeben, diese seien ausverkauft. Doch diese Angabe war falsch: Im offiziellen Vorverkauf waren Tickets weiterhin erhältlich. Dem Urteil ist zu entnehmen, dass Viagogo im Laufe des Verfahrens angegeben hatte, diese Praxis unterdessen geändert zu haben.

Das Gericht hält fest: Zulässig wäre, wenn Viagogo den Hinweis anbringen würde, dass Tickets «auf unserer Webseite» nicht verfügbar seien.

Fantasie-Kategorien sind irreführend

Der Zirkus Knie hatte in seiner Klage zudem kritisiert, dass auf Viagogo Tickets für Kategorien erhältlich gewesen seien, die es gar nicht gegeben habe. Das Handelsgericht bestätigt dies und urteilt: «Die Verwendung von nicht offiziellen […] Ticketkategorien und einem nicht den Tatsachen entsprechenden Sitzplan ist irreführend.» Kundinnen und Kunden würden damit über die Ticketkategorie wie auch über die Lage des Sitzplatzes getäuscht.

Mehr Transparenz beim Gesamtpreis

Und schliesslich geht es in dem Urteil auch um die Preistransparenz. Das Gericht kritisiert, Viagogo erzeuge Druck auf die Nutzerinnen und Nutzer. Und zwar mit Hinweisen auf ein knappes Angebot und grosse Nachfrage – verbunden mit einem knappen Zeitfenster, in welchem die Bestellung abgeschlossen werden müsse. Damit würden Nutzerinnen und Nutzer «unter einen nicht zumutbaren Zeitdruck gesetzt». Dies mit dem Ziel, sie zu einem für sie «ungünstigen Vertragsabschluss zu verleiten».

Das Urteil zeigt auf, wie sich während des Bestellprozesses auf Viagogo die Preise Schritt für Schritt erhöhen. Durch die suggerierte Dringlichkeit bestehe aber die die Gefahr, dass die Nutzerinnen und Nutzer diese Preise gar nicht ausreichend studieren könnten.

Das Gericht verlangt daher, dass Viagogo den Gesamtpreis mit allen Teilbeträgen (Ticketpreis, Bearbeitungsgebühr, Buchungsgebühr, Mehrwertsteuer) während mindestens drei Minuten anzeigt, damit Käuferinnen und Käufer Zeit haben, den zu bezahlenden Endbetrag vor Kaufabschluss noch einmal zu studieren.

Viagogo schweigt – Zirkus Knie ist erfreut

Auf Anfrage des SRF-Konsumentenmagazins «Espresso» mag sich Viagogo nicht zum Urteil äussern. Man bitte um Verständnis, «dass Viagogo in dieser rechtlichen Angelegenheit zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellungnahme abgeben kann».

Die Verantwortlichen des Zirkus Knie zeigen sich in einer Mitteilung erfreut über diesen «klaren Entscheid» des Handelsgerichts. Das Urteil trage den Interessen der Besucherinnen und Besuchern Rechnung und schiebe dem «irreführenden Verhalten» beim (Weiter-)Verkauf von Tickets einen Riegel.

Mögliche Signalwirkung

SRF-Redaktor Stefan Wüthrich, der sich für «Espresso» seit Jahren mit Viagogo beschäftigt, spricht von einem wichtigen Urteil. «Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten ist es erfreulich, dass ein Gericht in ein paar ganz entscheidenden Punkten das Geschäftsmodell von Viagogo verurteilt. Das könnte bei weiteren Klagen Signalwirkung haben.»

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann noch ans Bundesgericht weitergezogen werden.

Espresso, 06.05.2021, 08:13 Uhr

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