Zum Inhalt springen

Gotthard-Strassentunnel Sprengen statt Bohren: War der Strategiewechsel vermeidbar?

Das Bundesamt für Strassen (Astra) muss beim Bau der zweiten Röhre des Gotthard-Strassentunnels kurzfristig von Bohrungen auf Sprengungen umdisponieren. Grund dafür seien «geologische Herausforderungen», die man nach 190 Metern von Süden her kommend festgestellt habe, wie das Astra am Montag mitteilte.

Der Strategiewechsel verursacht Mehrkosten von bis zu 20 Millionen Franken und Verzögerungen von mehreren Monaten. Hätte das verhindert werden können? Der Experte ordnet ein.

Simon Löw

Emeritierter Professor, Departement Erdwissenschaften ETH Zürich

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Simon Löw war von 1996 bis 2022 ordentlicher Professor für Ingenieurgeologie am Departement Erdwissenschaften der ETH Zürich. Er leitete während mehrerer Jahre als Vorsteher und Stellvertreter die Geschicke des Geologischen Instituts. Er ist auch heute noch als internationaler Experte im Bereich der nuklearen Endlagerung, tiefliegender Tunnelbauwerke und Massenbewegungen im Fels tätig und Mitglied vieler nationaler und internationaler Kommissionen.

SRF News: Überrascht Sie dieser plötzliche Strategiewechsel?

Simon Löw: Nicht komplett. Es gab schon früher Hinweise, dass das eine geologisch schwierige Strecke sein kann.

Welche Hinweise sind das?

Das geht auf den Bau des Eisenbahntunnels in den Jahren zwischen 1870 und 1880 zurück. Damals hat man die geologischen Verhältnisse, wie auch bei späteren Arbeiten, sehr detailliert dokumentiert. Für die Zone zwischen 200 und 800 Metern ab dem Portal Airolo wurden damals schwierige Stabilitätsverhältnisse, stark wechselnde geologische Verhältnisse und grosse Wassereinbrüche beschrieben.

Für eine Zone mit vielen geologischen Wechseln und instabilen Verhältnissen eignet sich eine Tunnelbohrmaschine nicht.

Der Gotthard gilt doch eigentlich als sehr gut erforscht: Wie konnten diese Bedingungen nicht bekannt sein?

Vermutlich hat man für die aktuellen Arbeiten vor allem die Dokumentationen vom Bau der ersten Röhre des Gotthard-Strassentunnels 100 Jahre später berücksichtigt. Auch diese wurde von sehr guten Geologen verfasst. Sie beschrieben damals auf dieser Strecke keine grossen Probleme. Warum sich die beiden Beschreibungen so stark unterscheiden, kann ich auch nicht ganz nachvollziehen.

Der Bund schreibt, dass stark geklüftetes, teilweise loses Gestein und Hohlräume für den temporären Stopp verantwortlich seien. Weshalb ist eine Tunnelbohrmaschine bei solchen Voraussetzungen ungeeignet?

Für eine Zone mit vielen geologischen Wechseln und instabilen Verhältnissen eignet sich eine Tunnelbohrmaschine nicht. Für solche Verhältnisse ist ein konventioneller Sprengvortrieb besser geeignet. So kann man sich sehr schnell an die wechselnden geologischen Verhältnisse anpassen und mit allen möglichen geotechnischen Gefährdungen umgehen.

Die Verantwortlichen setzten mit der Tunnelbohrmaschine also auf das falsche Instrument?

Für diese ersten 100 Meter vermutlich schon, ja. Darum haben die Geologen jetzt auch umgestellt.

In den historischen Beschreibungen heisst es, dass nach 800 Metern stabile Verhältnisse auftreten.

Wieso hat man trotzdem darauf gesetzt?

Bei den richtigen Voraussetzungen kommt man mit einer Tunnelbohrmaschine natürlich schneller voran. Man muss sich fragen: Wie viele schwierige Stellen erwarten wir in diesem Projekt von mehreren 1000 Metern? Wenn das wenige Strecken sind, findet man schon eine Lösung, um auch mit einer Tunnelbohrmaschine vorzugehen. Wenn es aber sehr viele Wechsel und instabile Bereiche sind, dann ist der Vortrieb mit einer Tunnelbohrmaschine nicht mehr sinnvoll.

Erwarten Sie denn, dass die Tunnelbohrmaschine, wie angekündigt, nach 500 Metern wieder zum Einsatz kommen wird?

Ja, das nehme ich an. Aber ob es jetzt wirklich 500 Meter sind, da bin ich mir noch nicht sicher. In den historischen Beschreibungen heisst es, dass nach 800 Metern stabile Verhältnisse auftreten.

Das Gespräch führte Andreas Lüthi.

Tagesschau, 8.7.2025, 19:30 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel