Zum Inhalt springen

Heisse Kartoffel CO2 Wer verantwortet den CO2-Ausstoss?

Wer ist verantwortlich für das Treibhausgas, das bei der Produktion eines Fernsehers ausgestossen wird – China, weil der Fernseher dort produziert wird oder die Schweiz, weil hier der Käufer oder die Käuferin des Geräts lebt?

Im Pariser Klimaabkommen zählt die Produktion. Die Schweiz mit ihrem kleinen Anteil an Industrie weist einen vergleichsweise tiefen Treibhausgasausstoss aus. Viel schlechter sieht die Schweizer Bilanz aus, wenn der Konsum zählt. Beide Zählweisen seien unfair, sagen nun verschiedene Klima-Ökonomen und präsentieren einen neuen Ansatz.

Wenn ein Fernseher über den physischen oder virtuellen Ladentisch geht, dann profitieren sowohl der Käufer als auch die Produzentin. «Ohne Produktion gäbe es keinen Konsum, ohne Konsum, keine Produktion. Also sind auch beide Seiten für dem CO2-Ausstoss mitverantwortlich», sagt Michael Jakob, Klima-Ökonom am Mercator Forschungs-Institut für Klimawandel und die Nutzung Globaler Gemeinschaftsgüter (MCC) in Berlin.

Gleichmässiges Aufteilen – nicht immer gerecht

Doch zu welchen Teilen? Michael Jakob schlägt in einer neuen Untersuchung zusammen mit anderen Wissenschaftlern vor, «dass man die handelsbedingten Emissionen relativ zum ökonomischen Vorteil aufteilt und dass die Produzenten und Konsumenten – also Exporteure und Importeure – jeweils davon erfahren.»

Den jeweiligen ökonomischen Vorteil berechnen die Klima-Ökonomen, in dem sie schauen, wie stark beide Seiten von einem Verkauf abhängig sind. Im Falle eines Fernsehers aus China, sind der Schweizer Käufer und die chinesische Produzentin ungefähr gleich stark darauf angewiesen, dass der Handel zustande kommt – die CO2-Emissionen würden entsprechend gleichmässig auf beide Seiten verteilt.

Beim russischen Erdgas zum Beispiel zeigt sich laut den Ökonomen ein anderes Bild. Das einseitig auf den Export fossiler Brennstoffe ausgerichtete Russland ist viel stärker von dessen Export abhängig, als der Käufer in Europa, der zunehmend auf Alternativen ausweichen kann. Die CO2-Emissionen würden also zu einem grösseren Teil auf das Konto Russlands gehen.

Unter dem Strich entsteht mit dem neuen Vorschlag für viele Länder ein völlig neues Bild, was ihre Verantwortlichkeit für CO2-Emissionen betrifft.

Wie die UNO die Emissionen berechnet

Box aufklappen Box zuklappen

In den internationalen Klimaverhandlungen bei der UNO gelten die Emissionen, die innerhalb eines Landes entstehen, als Massstab. Die Schweiz beispielsweise ist gemäss den Regeln des Pariser Klimaabkommens für einen Ausstoss von gut 40 Megatonnen CO2 pro Jahr verantwortlich, was vergleichsweise wenig ist.

Zählt man nun den Treibhausgasausstoss hinzu, den die importierten Waren verursachen, kommen gemäss UNO-Zahlen nochmals rund 60 Megatonnen dazu. Umweltorganisationen betonen mit Verweis auf diese Zahl immer wieder, dass die Verantwortung bzw. die Klimaschuld der Schweiz unterschätzt werde, wenn nur die inländischen Emissionen gezählt würden.

Aus Sicht von Michael Jakob müsste bei den Emissionen der Importe aber differenziert werden: «Mit unserem Ansatz kommt man dazu, dass die Aufteilung zwischen der Schweiz und Handelspartnern relativ nah der Mitte liegt. Das heisst, dass mit unserer Aufteilung bei 60 Megatonnen Handelsemissionen 30 der Schweiz und 30 den Handelspartnern zugeschrieben werden müssten.»

Insgesamt müsste man der Schweiz also anstatt 40 rund 70 Megatonnen CO2 zurechnen. Entsprechend wäre unser Land stärker gefordert, um klimaneutral zu werden. Umgekehrt sänke die Last von Produktionsländern, zum Beispiel von China deutlich.

Guter Vorschlag, aber umständlich

Box aufklappen Box zuklappen

Lucas Bretschger, Professor für Ressourcen-Ökonomie an der ETH Zürich meint zum Vorschlag der Kollegen: «Die Idee ist gut. Man kann sagen, beide profitieren vom Handel, es ist einfach ein wenig umständlich.»

Umständlich, weil für jede Handelsbeziehung zwischen zwei Ländern aufwändige Berechnungen nötig wären und sich die Parameter auch laufend ändern, meint Lucas Bretschger, der schon verschiedentlich als Mitglied der Schweizer Delegation an Klimaverhandlungen teilgenommen hat und deshalb auch die praktische Seite der Klimadiplomatie kennt. Er hat deshalb mit seinem Team einen andern Weg gewählt.

Bretschger hat verschiedene Fairness-Kriterien aufgestellt, unter anderem für jedes Land wie zahlungsfähig es ist. «Und dann bekommt man, für jedes Land eine Vorgabe, einen Pfad, weil wir alle im Jahr 2050 Netto-Null erreichen sollten. So kann man das international vergleichen», so Bretschger weiter. An der ETH könne man an einem Klimakalkulator berechnen, ob man als Land die Klimapolitik verschärfen solle damit man mit diesen Kriterien in Einklang komme oder nicht.

Wie auch immer gezählt wird, was die Länder mit den Resultaten machen, ist ihnen überlassen. Sie bestimmen, was sie für sich für angemessen halten und formulieren ihre Treibhausgas-Reduktionsziele selbst.

Doch: Je vielfältiger die Ansätze, je besser die Daten und damit die Vergleichbarkeit, desto stärker der Druck der einzelnen Länder sich möglichst viel zur Bekämpfung des Klimawandels vorzunehmen – das zumindest war die Hoffnung der Architektinnen und Architekten des Pariser Klimaabkommens – und bisher geht die Rechnung auf. Die meisten Länder formulieren derzeit verschärfte Klimaziele. Messen wird man das System dann aber an den Taten müssen.

Echo der Zeit, 3.3.21, 18:00 Uhr

Meistgelesene Artikel