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Jahreshoroskope im Trend «In Krisenzeiten hat die Astrologie immer eine Blüte erlebt»

Brigitte, Vogue oder Schweizer Illustrierte: In vielen Zeitschriften finden sich derzeit Jahreshoroskope, bei welchen Astrologen voraussagen, wie das neue Jahr wird. Immer rund um den Jahreswechsel werden solche Jahreshoroskope auf Google besonders gesucht. Dieses Jahr ist es nicht anders. Aber warum suchen die Menschen so häufig danach? Ein Interview mit dem Religionswissenschaftler Kocku von Stuckrad.

Kocku von Stuckrad

Religionswissenschaftler

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Kocku von Stuckrad ist Professor für Religionswissenschaften an der Universität von Groningen in den Niederlanden. Er forscht seit Jahrzehnten zur Astrologie, hat mehrere Bücher dazu verfasst und besitzt selbst vertiefte Kenntnisse in diesem Deutungssystem.

SRF News: Ist die Astrologie im Trend?

Kocku von Stuckrad: Es kommt auf den Bereich der Astrologie an. Eine einfache Form der Horoskopdeutung ist beispielsweise grösser geworden: Jetzt hat man auch über Apps und Online-Chatrooms Zugang zu eigentlich relativ anspruchsvoller Astrologie. Damit wird – auch von jungen Leuten – sehr spielerisch umgegangen. Da gibt es sicherlich einen Trend.

Dieser digitale Fokus hat auch dem gesamten Feld der Astrologie Erfolg gebracht. In ganz Westeuropa sieht man einen gewissen Mitgliederzuwachs in Astrologie-Organisationen. Aber hierbei von Boom zu sprechen, wäre zu früh. Die meisten Astrologinnen und Astrologen, die ich kenne, können nach wie vor nicht von ihrer Kunst leben.

Wie viele Menschen glauben an Astrologie?

Laut Umfragen in Westeuropa sagen 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, dass an der Astrologie was dran ist. In manchen Ländern ist Astrologie also angesagter als das Christentum.

Wenn man die Glaubwürdigkeit der Horoskope anschaut, dann stellt man fest, dass vor allem die Zufriedenheit der professionellen Horoskopdeutung beim Klientel erstaunlich hoch ist. Sie wird grösser, je tiefer man in die Horoskopie eintaucht. Man könnte diese positiven Erfahrungen einerseits damit begründen, dass die Horoskopdeutung im persönlichen Gespräch zwischen Astrologin und Klient konstruiert wird. Man könnte aber auch sagen, dass an den Horoskopen eben doch was dran ist.

«Das Erbe der Wissenschaftlichkeit»

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Ein Tierkreis, in violett-blauen Tönen
Legende: Der Tierkreis, eine Art Koordinatensystem in der Astrologie. Getty Images/sarayut Thaneerat

Über Jahrhunderte bildeten in der Sternkunde ein berechnender Zweig, die Astronomie, und ein interpretativer, die Astrologie, ein gemeinsames wissenschaftliches System. Die Interpretationen der Astrologie waren dabei massgeblich von den Berechnungen der Astronomie abhängig. Erst im 17. und 18. Jahrhundert entzweite sich die Sternkunde, woraus sich viele Anfeindungen gegen die Astrologie entwickelt haben, die wir heute noch sehen – «ein Erbe der Wissenschaftlichkeit», wie von Stuckrad es formuliert.

Naturwissenschaftlich spricht nichts für die Astrologie. Es gibt keine Studie, die dieses Deutungssystem belegen könnte. Warum spricht es die Menschen trotzdem an?

Verliebtheit kann man beispielsweise auch wissenschaftlich nicht quantifizieren. Trotzdem wissen alle, dass man sich verlieben kann. Den meisten, die der Astrologie nahestehen, ist dieser Wissen­schaftlichkeitsanspruch egal, solange es für sie funktioniert.

Astrologie ist auch eine Möglichkeit, nach Selbsterkenntnis zu suchen.

Sind die Menschen in Krisenzeiten (Gaza- und Ukrainekrieg, Klimakrise) empfänglicher für Astrologie?

Das denke ich schon. In Krisenzeiten hat die Astrologie in Europa immer eine Blüte erlebt. Das war schon in der Reformationszeit so, und auch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die Astrologie bietet Menschen die Möglichkeit, ihr Leben in einen grösseren, ja kosmischen Rahmen einzuschreiben. Das ist ein Sinnangebot, das heute viele anspricht.

Sehen Sie auch Gefahren, die die erhöhte Aufmerksamkeit mit Astrologie mit sich bringt?

Ich würde potenzielle Gefahren nicht in der Astrologie per se begründen, sondern wie man damit umgeht. Vielleicht haben gewisse Menschen eine bestimmte Veranlagung, sich in Abhängigkeiten von anderen Menschen zu begeben. Das können Astrologen sein, aber auch Therapeutinnen oder Yogalehrer.

Die Wahrscheinlichkeit, dass man sich über die Beschäftigung mit Astrologie in problematische Beziehungen begibt, halte ich für nicht höher als bei anderen Systemen – eher im Gegenteil. Denn heute ist Astrologie teilweise auch eine Möglichkeit, an der eigenen Persönlichkeit zu arbeiten, sich mit Schattenseiten zu konfrontieren und nach Selbsterkenntnis zu suchen.

Das Gespräch führte Nico Schwab.

Radio SRF 1, 28.12.2023, 16:15 Uhr ; 

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