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Kälberriss durch Wölfe Veterinär: «Kühe dürfen nicht ihrem Schicksal überlassen werden»

Auf Alpen im Bündnerland sind diesen Sommer zwölf Kälber mit Wolfsbissen tot aufgefunden worden. Ein Kalb wurde offensichtlich von Wölfen gerissen, bei den anderen handelt es sich sehr wahrscheinlich um Tot- oder Frühgeburten. Die Schweizer Stimmberechtigten haben am Sonntag zusätzliche Wolfsabschüsse mit der Ablehnung des Jagdgesetzes abgelehnt. Nun fordern Tierschützer ein Verbot von unkontrollierten Abkalbungen.

Der Kanton Graubünden empfiehlt Bauern seit zwei Jahren, auf unbeaufsichtigte Geburten zu verzichten, will diese Empfehlung aber nicht für verbindlich erklären. Kaspar Jörger, Leiter Tierschutz beim Bundesamt für Veterinärwesen (BLV), spricht Klartext. Für gebärende Kühe und ihre Kälber trügen die Tierhalter laut Tierschutzverordnung eine Fürsorgepflicht. In der sensiblen Phase der Geburt dürften sie nicht sich selbst überlassen werden.

Kaspar Jörger

Leiter Abteilung Tierschutz im BLV

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Kaspar Jörger studierte Veterinärmedizin und promovierte 1987 an der Universität Bern. Ab 1999 war er Kantonstierarzt in Graubünden. Seit 2014 ist er Leiter der Abteilung Tierschutz im Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) und Mitglied der Geschäftsleitung.

SRF News: Im Kanton Graubünden sind zwölf Kälber mit Wolfsbissen aufgefunden worden. Müssen diese Kälberrisse einfach als Begleitschäden hingenommen werden?

Kaspar Jörger: Nein! Unkontrollierte Geburten auf den Alpen sollten vermieden werden. Solche Vorkommnisse lassen sich vermeiden.

Dürfen Bauern ihr Vieh auf Alpweiden bei der Geburt sich selbst überlassen?

Rinder sind keine Wildtiere, sondern Nutztiere. Sie wurden domestiziert, damit man sie nutzen kann. Darum ist ein Nutztierhalter verantwortlich für seine Tiere. Er muss dafür sorgen, dass ihnen nichts passiert. Sie dürfen nicht einfach ungeschützt ihrem Schicksal überlassen werden.

Der Kanton Graubünden empfiehlt seinen Bauern, auf Abkalbungen auf Alpweiden zu verzichten. Die Risse zeigen, viele Bauern kommen dieser Weisung trotzdem nicht nach. Warum?

Ich kann das nicht nachvollziehen. Ein Tierhalter, der seine Tiere gern hat, der schaut zu ihnen. Es ist auch wirtschaftlicher für Nutztierhalter, die Tiere nicht einfach unkontrolliert auf einer Alp abkalben zu lassen. Die Geburt ist eine der sensibelsten Phasen im Leben eines Tieres und in einer solchen Situation die Tiere einfach ihrem Schicksal zu überlassen, finde ich nicht verantwortungsvoll.

Der Halter muss dafür sorgen, dass den Tieren nichts passiert.

Was ist zu tun, damit es zu weniger Kälberrissen durch Grossraubtiere auf Alpweiden kommt?

Die Bauern müssen wissen, ob ein Tier trächtig ist oder nicht und entsprechende Vorsorgemassnahme treffen. Sie sollen trächtige Tiere während oder kurz vor der Geburt so unterzubringen, dass sie nicht ihrem Schicksal überlassen werden.

Was beinhaltet die Fürsorgepflicht gemäss der Tierschutzverordnung für die Nutztierhalter?

Ganz konkret müssen Tierhalter dafür sorgen, dass das Tierwohl sichergestellt ist. Das heisst, Nutztierhalter müssen dafür sorgen, dass sich die Tiere nicht verletzen können, dass sie nicht krank werden. Wenn ein Tier sich verletzt oder krank wird, muss man Massnahmen treffen, um das Tier zu pflegen und falls nötig zu behandeln. Und man muss dafür sorgen, dass solche Situationen gar nicht entstehen.

Das Gespräch führte Matthias Thomi.

Schweiz aktuell, 30.09.2020, 19:00 Uhr ; 

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