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Kampf gegen das Coronavirus Würden kostenpflichtige Tests die Impfquote in die Höhe treiben?

Wie bringt man möglichst viele Leute dazu, sich impfen zu lassen? Frankreichs Präsident Emmanuel Macron versucht es mit Druck: Mit einem Impf-Obligatorium für Pflegeberufe, zum Beispiel. Oder damit, dass im Kino oder im Theater ein negativer Test oder ein Impf- oder Genesungs-Nachweis nötig wird. Schon kurz nach der Ankündigung hat knapp eine Million Franzosen einen Impftermin vereinbart. Wie diese Reaktion zu erklären ist – Verhaltensökonomin Renate Schubert von der ETH Zürich liefert Antworten.

Renate Schubert

Verhaltensökonomin

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Renate Schubert ist Professorin für Ökonomie an der ETH Zürich. Sie ist auf Verhaltensökonomie, Umwelt- und Energieökonomie, sozialwissenschaftliche Analysen und Digitalisierungsfragen spezialisiert.

SRF News: Druck beim Impfen – funktioniert das?

Renate Schubert: Ich denke, in Frankreich hat es funktioniert, weil die Leute realisiert haben: Lassen sie sich nicht impfen, dann wird das bald mal teuer. Insbesondere, wenn sie im Gesundheits- und Pflegebereich arbeiten, könnten sie ihre Stelle verlieren und müssen vielleicht sogar noch eine Strafe zahlen. Dann wählt man vielleicht lieber die billigere Variante, nämlich das Impfen.

In Frankreich gibt es ja auch finanzielle Anreize. Die Impfung beispielsweise ist gratis. Die Schnelltests für Ungeimpfte hingegen, die sollen Französinnen und Franzosen dann aber selber bezahlen.

Geld spielt eine Rolle, das zeigen ganz viele Studien. Interessanterweise ist es so, dass wir den Verlust von Geld als sehr viel drastischer wahrnehmen, als wenn wir was dazugewinnen. Wenn wir 100 Franken verlieren, dann beschäftigt uns das viel mehr, als wenn wir 100 Franken gewinnen.

Wenn wir 100 Franken verlieren, dann beschäftigt uns das viel mehr, als wenn wir 100 Franken gewinnen.

Was hat denn den grösseren Effekt auf unser Verhalten? Die Angst vor dem Jobverlust oder die Aussicht, einfacher auswärts essen gehen zu können?

Die Angst spielt sicherlich eine Rolle. Aber ich denke, bei vielen ist es eigentlich so eine Art Kosten-Nutzen-Kalkül. Wenn in der Schweiz zum Beispiel die Tests nicht mehr gratis wären, würde dies vielleicht die Chance erhöhen, dass sich mehr Leute impfen lassen.

Sie haben mir im Vorgespräch gesagt: Impfen ist eigentlich ein positiver externer Effekt. Was heisst das?

Lässt man sich impfen, hat man einen Vorteil für sich selber. Aber es hat eben auch einen Vorteil für die Gesellschaft insgesamt. Und dieser ist viel grösser als der individuelle Effekt – denn man verhindert auch die Ansteckung und Erkrankung von etlichen anderen Menschen. Allerdings gibt es immer Individuen, die denken: Sollen sich mal die anderen impfen lassen – dann habe ich ja auch meinen Vorteil. Will man solche Trittbrettfahrer vermeiden, braucht es eine Regulierung.

Will man Trittbrettfahrer vermeiden, braucht es eine Regulierung.

Etwas, das für jeden Einzelnen, aber auch für die Gesellschaft eigentlich gut wäre, lässt sich schwer durchsetzen wie erklärt sich das?

Irgendwie sind wir halt doch alle kleine Egoisten. Die Bereitschaft, etwas zu tun, was auch für die Allgemeinheit einen grossen Nutzen hat, ist tendenziell klein – insbesondere dann, wenn man diese Allgemeinheit nicht so richtig kennt. Ich bin vielleicht bereit, etwas zu machen, das meiner Nachbarin oder meinem Nachbarn hilft. Das grosse Ganze hingegen ist weniger fassbar, dann sehe ich plötzlich viel mehr die möglichen Nachteile.

Aus Sicht der Verhaltensökonomie ist es daher angezeigt, den Druck und die Kampfbereitschaft zu erhöhen.

Ein bisschen Druck ist auf jeden Fall ein gutes Mittel – er muss aber auf das jeweilige Land abgestimmt sein. Für Frankreich scheint das Impf-Obligatorium zu funktionieren. Für die Schweiz wäre das vermutlich keine gute Strategie. Hier ist es vielleicht zielführender, immer wieder die Vorteile des Covid-Zertifikats hervorzuheben und gleichzeitig die Preise fürs Testen zu erhöhen.

Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.

SRF 4 News, 20.07.2021, 07:45 Uhr ; 

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