Als heute Mittag bekannt wurde, dass Bundesrat Alain Berset alleine vor die Medien treten wird, war schon zu vermuten, dass die Öffnungen wohl eher kosmetischer Natur sein würden. Einen grossen Schritt hätte wahrscheinlich auch Wirtschaftsminister und Bundespräsident Guy Parmelin gerne verkündet.
Der Bundesrat bleibt mit seinen heutigen Entscheidungen (oder besser: Nicht-Entscheidungen) seiner vorsichtigen Politik der letzten Monate treu. Dass die Obergrenze für private Treffen von fünf auf zehn Personen angehoben wird, dürfte vor allem psychologische Gründe haben. Denn die Ostertage stehen vor der Tür.
Glaubwürdigkeit bewahrt
Allen anderen «Lockerungsgelüsten» hat der Bundesrat heute eine Abfuhr erteilt. Und sich damit seine Glaubwürdigkeit bewahrt: Man kann nicht vier Kriterien und Grenzwerte definieren, an denen man seine Öffnungspolitik ausrichten will, und dann weitgehende Lockerungen verkünden, wenn drei der vier Kriterien nicht erfüllt sind.
Die Richtung hatte Bundesrat Berset eigentlich schon vor einer Woche vorgegeben, als er eingestand, dass sich die Schweiz auf eine dritte Welle einstellen müsse, und hinzufügte: «Wir können sie mässigen, wenn wir richtig handeln.»
Dem Druck standgehalten
Ob der Bundesrat jetzt richtig gehandelt hat, wird naturgemäss kontrovers diskutiert. Man kann zumindest festhalten: Der Bundesrat hat mit dem heutigen Vorgehen Mut zum Widerstand bewiesen. Der Druck für weitere Öffnungen war gross. Das Parlament hatte in der ablaufenden Session die Muskeln spielen lassen, die Wirtschaft lobbyierte auf allen Kanälen, eine Mehrheit der Kantone wünschte sich grössere Öffnungsschritte und auch der Unmut in der Bevölkerung über die Einschränkungen des täglichen Lebens wurde immer grösser.
Interessant war in der gestern publizierten Corona-Umfrage der SRG , dass sich die Menschen zwar grössere Lockerungen dringend wünschen, gleichzeitig aber die vorsichtige Strategie des Bundesrates mehrheitlich unterstützen. Anders gesagt: Das Herz sagt: Öffnen! Der Verstand sagt: Vorsichtig bleiben!
Vor demselben Dilemma dürfte sich heute auch der Bundesrat gesehen haben. Der Verstand hat gesiegt.