Christophe Darbellay ist Mitte-Staatsrat im zweisprachigen Kanton Wallis und als Präsident der Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektorinnen- und Direktoren (EDK) der oberste Bildungsdirektor der Schweiz. Nach dem Entscheid des Zürcher Parlaments gegen das Frühfranzösisch sieht er die Willensnation Schweiz in Gefahr.
SRF: Im Kanton Zürich sollen die Schülerinnen und Schüler erst ab der siebten Klasse Französisch lernen und nicht mehr ab der fünften. Sie sagten, das mache Sie traurig. Warum?
Christophe Darbellay: Weil damit der nationale Zusammenhalt auf dem Spiel steht, die Willensnation Schweiz. Man rüttelt an unserem Fundament. Am Sonntag beschwört man am Eidgenössischen Schwingfest die Schweizer Werte und am Montag wirft man sie im Zürcher Grossrat leichtsinnig über Bord. Das macht mich traurig.
Wie wollen wir zusammenleben, wenn wir nicht in der Lage sind, eine gemeinsame Sprache zu sprechen?
Ist die Willensnation Schweiz wirklich in Gefahr, wenn die Zürcher Schülerinnen und Schüler nicht mehr ab der fünften, sondern erst ab der siebten Klasse Französisch lernen?
Das ist ein Schritt in die falsche Richtung. Wie wollen wir zusammenleben, wenn wir nicht in der Lage sind, eine gemeinsame Sprache zu sprechen? Wir sollten uns auch auf die Sprache achten: Man soll Französisch nicht als Fremdsprache bezeichnen. Das ist eine Beleidigung gegenüber 2 Millionen Schweizerinnen und Schweizer, die Französisch sprechen. Französisch ist eine Landessprache! Und man soll auch nicht von «Frühfranzösisch» sprechen, das tönt abschätzig und ist beleidigend. In der Westschweiz spricht auch niemand von «Frühdeutsch».
Eine Überprüfung der Grundkompetenzen zeigte, dass nur rund die Hälfte der Schülerinnen und Schüler in der Deutschschweiz nach der Volksschule die Ziele in Französisch erreichte. Heisst das, es bringt gar nichts, so früh anzufangen?
Das glaube ich nicht, das ist auch wissenschaftlich nicht erhärtet. Diese Überprüfung fand zum ersten Mal statt. Wenn man das Französisch nun einfach nach hinten schiebt, werden die Schülerinnen und Schüler sicher auch nicht besser.
Oft wird argumentiert, dass zwei Fremdsprachen in der Primarstufe die Schülerinnen und Schüler überfordern, zumal für nicht wenige auch Deutsch eine Fremdsprache ist. Können Sie das nachvollziehen?
Bei diesem Argument lupft es mir den Hut! Deutsch ist keine Fremdsprache in der Schweiz, es ist eine offizielle Landessprache! Ich höre das von den selbsternannten Patrioten, einer Schweizerischen Volkspartei, die immer wieder die Schweiz zelebriert. Und jetzt? Deren Hauptargument ist, Deutsch sei bereits eine Fremdsprache, darum soll man Französisch und Englisch möglichst spät lernen.
Wenn der Lernerfolg schlechter ist als erhofft, sollte man vielleicht den Unterricht überdenken und schmackhafter machen.
Aber in der Pubertät haben die Jungen andere Ideen, als Sprachen zu lernen. Klar, auch mit dem heutigen System ist nicht alles perfekt. Aber wenn der Lernerfolg schlechter ist als erhofft, sollte man vielleicht den Unterricht überdenken und schmackhafter machen.
Der Bundesrat erwägt einzugreifen und eine zweite Landessprache in der Primarstufe als obligatorisch zu erklären, sollte Zürich mit der Harmonisierung im Schulwesen brechen. Würden Sie ein Machtwort des Bundesrates begrüssen?
Als Walliser Staatsrat bin ich eigentlich allergisch darauf, wenn der Bundesrat uns sagt, was wir zu tun haben. Die Bildung liegt schliesslich grundsätzlich in der Kompetenz der Kantone. Wenn es aber keine andere Variante gibt, muss es wohl so sein. Das ist, wie wenn die Kinder blöd tun, dann müssen die Eltern intervenieren. Das wäre jetzt die Rolle des Bundesrats.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.