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Landesregierung im Krisenmodus Einer für alle, alle für einen? Im Bundesrat ein frommer Wunsch

Indiskretionen, Alleingänge, Misstöne: Pandemie und Krieg werfen die Frage auf, wie krisenfest der Bundesrat ist.

In Europa herrscht wieder Krieg. Und während Putins Panzer durch die Ukraine rollen, ist in Bundesbern vor allem eines gefordert: entschlossenes, schnelles Handeln. Mit Blick auf die letzten zwei Jahre scheint das nicht eben die Paradedisziplin des Bundesrats zu sein. Immer wieder kam es zu Indiskretionen, Alleingängen und auch zu mancher Kurskorrektur.

Jüngste Beispiele: Nach Kritik im In- und Ausland justierte der Bundesrat bei den Sanktionen gegen Russland nach; diese Woche soll Bundespräsident Ignazio Cassis beim Transfer von Nato-Kriegsmaterial durch den Schweizer Luftraum vorgeprescht sein.

Cassis’ Departement wählt «kurzen Dienstweg»

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Der Bundesrat wollte sich am Mittwoch mit einer heiklen Anfrage des Nato-Mitglieds Kanada beschäftigen. Dabei ging es um einen Transport von Kriegsmaterial zwischen England und Italien, der einen Überflug über die Schweiz vorsah. Verkehrsministerin Simonetta Sommaruga war einverstanden, Verteidigungsministerin Viola Amherd ebenfalls.

Doch dann schaltete sich das Aussenministerium von Bundespräsident Ignazio Cassis ein, wie die «Neue Zürcher Zeitung» aus mehreren gut informierten Quellen erfuhr. Es erledigte das Geschäft auf dem «kurzen Dienstweg», obwohl die Federführung dafür bei Sommaruga lag. Das Aussendepartement hatte bei der kanadischen Botschaft interveniert und sie gebeten, das Gesuch zurückzuziehen. (sda)

Die Frage stellt sich: Ist die Kollegialbehörde krisentauglich? Der Politologe Adrian Vatter analysiert in seinem aktuellen Buch «Der Bundesrat: die Schweizer Regierung» die Organisation und Funktion des Gremiums. Er kommt trotz kleinerer und grösserer Erschütterungen in der Kollegialbehörde zum Schluss: «Der Bundesrat ist grundsätzlich krisentauglich. Das hat er in den letzten zwei Jahren bewiesen.»

«Keine ideale Ausgangslage»

Der Politologe betrachtet die Pandemiebewältigung von den Ergebnissen her – und stellt der Schweiz beim Gesundheitsschutz ein mittelmässiges, bei der wirtschaftlichen Krisenbewältigung ein gutes bis sehr gutes Zeugnis aus. «Erstaunlicherweise hat die Schweizer Regierung, obwohl sie quasi aus dem 19. Jahrhundert stammt, funktioniert.»

Erstaunlich, weil Krisen rasche Entscheide in einer unübersichtlichen Lage erfordern. Und hier eine Kollegialregierung ohne klare Führung «nicht die ideale Ausgangslage ist, um diese Krise zu meistern», so Vatter.

Dieses Brechen des Kollegialitätsprinzips haben wir schon seit Jahrzehnten, und es hat jetzt auch keinen neuen Höhepunkt erreicht.
Autor: Adrian Vatter Politologe an der Universität Bern

Das sei auch möglich geworden, weil – zumindest zu Beginn der Corona-Krise – Kantone und Bevölkerung hinter dem Bundesrat gestanden seien. «Man kam weg von der Parteipolitik, und erst im Verlauf der Krise haben sich die Defizite gezeigt – so auch die Schwächen des Schweizer Föderalismus.»

Kein neues Phänomen

Nichtsdestotrotz: Auch beim Krieg in der Ukraine wurden jüngst Bruchstellen im Bundesrat deutlich. Auch hier relativiert der Professor an der Universität Bern: «Dieses Brechen des Kollegialitätsprinzips haben wir schon seit Jahrzehnten, und es hat jetzt auch keinen neuen Höhepunkt erreicht.»

Medienkonferenz des Bundesrats zum Coronavirus
Legende: Eine gewisse Reibung im Bundesrat liegt für Vatter in der Natur der Sache: Jedes Regierungsmitglied steht einem Departement vor und muss sich hier profilieren – gleichzeitig muss eine tragfähige Lösung für eine kollegiale Staatsführung gefunden werden. Ein Widerspruch, der sich offenbar nicht immer auflösen lässt. Keystone

Im nächsten Jahr stehen die eidgenössischen Wahlen an, anschliessend werden auch die Mitglieder des Bundesrats neu bestätigt. Auch diese Einzelwahl eines jeden Bundesratsmitglieds kann eine Konkurrenzsituation im Gremium schaffen, wie Vatter erklärt.

Denn wer Bundesrat oder Bundesrätin bleiben will, muss sich über die eigenen Parteigrenzen hinaus profilieren, und auch in gewisser Weise Wahlkampf in eigener Sache betreiben. Ein Phänomen, das es in Regierungskabinetten anderer demokratischen Länder so nicht gibt.

Bundesratsfoto 2021
Legende: Wird bald ein Platz frei? Nach den Parlamentswahlen im Herbst 2023 müssen die Bundesratsmitglieder von der Vereinigten Bundesversammlung bestätigt werden. Keystone

«Eine Listenwahl würde von der Logik her viel eher dem Kollegialitätsprinzip entsprechen», sagt Vatter. In diesem Gedankenspiel könnten verschiedene Listen von Regierungswilligen gegeneinander antreten, die sich quasi als Team zur Wahl stellen würden.

Druck aus der eigenen Partei

Schliesslich kann auch die Loyalität eines Regierungsmitglieds zur eigenen Partei zur Zerreissprobe für das Gremium werden. Denn normalerweise emanzipieren sich Bundesräte nach ihrer Wahl ein Stück weit von ihrer eigenen Partei. «Nimmt jemand diese übergeordnete Staatsführungsrolle aber nicht an, dann funktioniert das System nicht mehr.»

Blocher nach seiner Abwahl 2007.
Legende: Ein prominentes Beispiel: «Christoph Blocher hat die Parteipolitik quasi 1:1 in den Bundesrat hineingetragen. Das kann auch zur Folge haben, dass man als Bundesrat nicht wiedergewählt wird», so Politologe Vatter. Im Bild: SVP-Bundesrat Blocher nach seiner Abwahl 2007. Keystone/Archiv

Fazit: Das Knirschen im Bundesratsgebälk kam nicht erst mit Corona – es ist quasi im politischen System der Schweiz verankert.

Echo der Zeit, 31.03.2022, 18 Uhr ; 

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